Köhler-Rücktritt: Der den Ton nicht traf

Nach sechs Jahren im Amt des Bundespräsidenten, gibt Köhler seinen Rücktritt bekannt. Damit hat er alle überrascht. Doch Anzeichen dafür, dass er seinem Amt nicht gewachsen war, gab es reichlich
von  Abendzeitung
Horst Köhler
Horst Köhler © dpa

Nach sechs Jahren im Amt des Bundespräsidenten, gibt Köhler seinen Rücktritt bekannt. Damit hat er alle überrascht. Doch Anzeichen dafür, dass er seinem Amt nicht gewachsen war, gab es reichlich

Das muss man ihm lassen: In den letzten Tagen konnte er überraschen. Den Vorwurf des Langweilers, der den Bundespräsidenten lang begleitet hat, er war nicht mehr gerechtfertigt. Es gab Anzeichen, Hinweise, aber dennoch. Die Meldung vom Rücktritt Horst Köhlers traf das politische Berlin und die Bürger aus heiterm Himmel.

Die Tränen beim Rücktritt verrieten, wie es in der letzten Zeit ausgesehen haben muss in dem 67-Jährigen, wie unglücklich, wie einsam er zuletzt agierte. Er hatte nicht mehr viel Freude, und er hatte nicht mehr viel Freunde im Amt, in das er 2004 zum ersten Mal gewählt wurde.

Natürlich waren seine Äußerungen zum Afghanistan-Einsatz, übermüdet auf dem Rückflug vom Hindukusch, mehr als nur missverständlich. Der Spruch, ein Land „mit dieser Außenhandelsorientierung“ müsse „einsehen, dass im Zweifel, im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu verteidigen“, der war unerträglich. Sie waren nicht nur Futter für die Gegner des Einsatzes. Sie waren auch ein Schlag ins Gesicht der Soldaten, die er gerade besucht hatte. Bei der Truppe in Afghanistan lief der Besuch ohnehin nicht so gut, weil Köhler offen die mangelnde Siegeszuversicht der Soldaten moniert hatte.

Der Auftritt offenbarte zwei Probleme des Staatsoberhaupts, die sich zuletzt zuspitzen. Er traf zu selten den richtigen Ton, und er hatte niemanden, der ihm dabei half.

Im Bundespräsidialamt gab es zuletzt einen Exodus, kaum ein Jahr nach der Wiederwahl ging unter anderem sein Presseprecher. Ungeschützt schlidderte Köhler in die Rhetorik-Falle. Er gab all denen Futter, die den einstigen Staatsekretär im Finanzministerium für eine Fehlbesetzung halten. Und davon gab es viele.

Das lag nicht unbedingt an Köhlers Vita. Geboren 1943 im damaligen Generalgouverneument Polen, landete Köhlers Familie nach dem Krieg im schwäbischen Ludwigsburg, wo er seinen unverkennbaren Akzent annahm. Nach dem Wirtschaftsstudium in Tübingen machte er Karriere im Bonner Finanzministerium. Gefördert vom damaligen Ressortchefin Theo Waigel wurde Köhler Staatsekretär, bis er 1992 an die Spitze des Sparkassen- und Giro-Verbands wechselte. Von dort ging er 2000 als Direktor des Weltwährungsfonds nach Washington.

„Sparkassendirektor“, das war auch das verächtlich gemeinte Etikett, mit die Gegner nicht nur in SPD und Grünen Köhlers Rückkehr auf die deutsche Polit-Bühne begleiteten. Nach dem Verzicht von Roman Herzog auf eine zweite Amtszeit brauchten Bundeskanzlerin Angela Merkel, Guido Westerwelle und Edmund Stoiber einen konservativen Kandidaten an der Staatsspitze.

Die Herrschaften waren damals zwar noch in der Opposition zu Rot-Grün. In der Bundesversammlung hatte Schwarz-Gelb aber damals schon eine Mehrheit.

Merkel brachte Köhler ins Spiel, weil die CDU-Chefin unbedingt Wolfgang Schäuble verhindern wollte. Mit Köhlers Rücktritt steht Schwarz gelb erneut vor einem gescheiterten Projekt.

Zu Beginn seiner Amtszeit bemühte sich Köhler um Profil („Horst wer?“ - fragte die Bild-Zeitung). Und er kämpfte darum, den Ruch den Wirtschaftsliberalen loszuwerden. „Nein, denn der Vorwurf trifft nicht zu“, sagte er der AZ auf die Frage, ob ihn der Vorwurf der sozialen Kälte treffe. Zu einer Zeit, als von Banken- und Eurokrise noch keine Rede war, betonte Köhler seine Verbundenheit mit Afrika. Den Kontinent, seine Menschen und seine Armut hatte er beim Währungsfonds kennengelernt. Allein: Das Bewusstsein für die Nöte dort konnte er nicht vermitteln. Man hörte ihm nicht so recht zu.

Zu oft ging ihm rhetorisch was daneben, schon sein „Ich liebe Deutschland“ in seiner ersten Antrittsrede kam eine Spur zu geschwollen rüber für den Geschmack der Zeit. Und als er 2005 nach der verlorenen NRW-Wahl den Weg für Neuwahlen freimachen musste, sagte er, das Land brauche „einen Neuanfang“ – was mit der Neutralität des Amtes kollidierte.

Dass Köhler, der mit seiner Frau Eva-Luise zwei erwachsene Kinder hat, empfindsam und empfindlich war, zeigte nicht erst der Gefühlsausbruch bei seinem Rücktritt. Vielleicht war es die Sensibilität, die ihn zunehmend schweigsam werden ließ: Spät äußerte er sich zu den Krisen der Finanzmärkte. Die großen Themen von Atom-Ausstieg, Bankenrettung oder Euro-Krise blieben vom Staatsoberhaupt unkommentiert. Die Kanzlerin, die ihn schließlich ins Amt gebracht hatte, soll ihn mit bewusstem Desinteresse bestraft haben.

Und sein letzter Versuch, beim Mega-Thema Afghanistan Profil zu zeigen, ging bekanntlich gründlich schief. Köhler wollte wahrgenommen werden. Gestern ist ihm das gelungen. Aber sein Eintrag in die Geschichtsbücher wird ein anderer sein, als seine Erfinder und er selbst sich das vorgestellt haben.

Matthias Maus

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