Koalitionsverhandlungen: Das große Gefeilsche
Koalitionsverhandlung: Jetzt tagt erstmals die Arbeitsgruppe Finanzen – sie stellt die Weichen. Die AZ erklärt, was die Wunschvorhaben kosten würden und wie sie finanziert werden sollen
BERLIN Jetzt geht’s ums Geld. Bei den Koalitionsverhandlungen tagt jetzt erstmals die Arbeitsgruppe Finanzen. Ohne sie geht nichts: Sie stellt die Weichen, für welche Wunschvorhaben beider Seiten wie viel ausgegeben. Und: Woher und bei wem die Mittel dafür geholt werden.
30 Mitglieder hat die Arbeitsgruppe, geleitet wird sie vom amtierenden Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) und Olaf Scholz (SPD). Die beiden kennen und schätzen sich aus der letzten großen Koalition. Beide gelten nicht als Dampfplauderer. Um 17.30 Uhr sollte das Treffen beginnen. Konkrete Beschlüsse wurden noch nicht erwartet, aber ein Abtasten, was geht. Die SPD hat bereits der Union die Bedingung gestellt, dass sie, wenn sie schon Steuererhöhungen ablehnt, dann aber bei jedem einzelnen Projekt erklärt, wie es finanziert werden soll. Dazu kommt, dass erstmals Koalitionsverhandlungen im Korsett der neuen Schuldenbremse geführt werden: Neue Ausgaben auf Pump sind also nicht mehr möglich – und auch im bisherigen Budget muss gespart werden, um die jährliche Neuverschuldung abzubauen.
Zunächst geht es um die Frage, wofür Geld ausgegeben werden soll. Die Union hat im Wahlkampf eine Erhöhung des Kindergeldes beziehungsweise des Freibetrags versprochen: Kosten 7,5 Milliarden Euro pro Jahr. Dann der Abbau der kalten Progression im Steuerrecht: Kosten drei Milliarden Euro pro Jahr.
Besonders teuer kommen die Rentenpläne: Das Vorhaben, die Renten für Mütter aufzustocken, die vor 1992 geboren haben, kostet 7,5 Milliarden. Ebenso viel Geld wird für den SPD-Wunsch veranschlagt, dass man nach 45 Beitragsjahren ohne Abschläge in den Ruhestand gehen kann. Beide Parteien haben zudem ganz ähnliche Pläne für eine Mindestrente von 850 Euro – kostet weitere 15 Milliarden Euro. Bei allen Rentenprojekten gibt es die Möglichkeit, das entweder aus Steuergeldern zu bezahlen oder aber die Beiträge zu erhöhen. Kommen alle drei Projekte, müssten die Beiträge um 2,8 Prozentpunkte steigen.
Beim Thema Verkehr sollen die Ausgaben um drei Milliarden Euro pro Jahr steigen. Und auch der geplante Mindestlohn hat Folgen für den Etat, die aber noch schwer bezifferbar sind. Zum einen wird der Haushalt entlastet, weil dann weniger für Aufstocker ausgegeben werden muss – zum anderen wird er belastet, weil Niedriglohn-Jobs verloren gehen und dann neue Arbeitslose Ansprüche haben.
Alles in allem summieren sich die Vorhaben auf fast 60 Milliarden Euro. Aber woher das Geld nehmen? Teile der Union verweisen auf die gute Wirtschaftslage und die gefüllten Sozialkassen. Sie spekulieren darauf, dass die Wirtschaft – und damit die Steuereinnahmen – noch weiter anzieht. Die SPD will sich darauf nicht verlassen. Denkbar ist: eine Rücknahme des Mehrwertsteuerbonbons für Hoteliers, das bringt rund eine Milliarde. Ein Stopp des Betreuungsgelds würde 1,2 Milliarden in die Kassen spülen (aber dagegen wehrt sich die CSU). Eine Finanztransaktionssteuer könnte zwei Milliarden Euro bringen. Alle Seiten wollen den Kampf gegen Steuerhinterzieher verstärken und veranschlagen dafür ehrgeizige elf Milliarden Euro.
Und natürlich die Maut: Sie wird laut Focus mit drei Milliarden Euro pro Jahr veranschlagt. Demnach sollen Inländer die Vignette mit Überweisung der Kfz-Steuer bekommen, Ausländer müssten extra zahlen. Die CSU suggeriert, dass dieses Modell EU-rechts-konform wäre, was die anderen bezweifeln. Dazu kommt, dass eine Maut nur für Ausländer maximal 700 Millionen Euro bringen würde – eingeplant sind aber drei Milliarden. Also weitet man entweder drastisch die Lkw-Maut aus, oder es müssen eben doch auch Inländer zahlen.
Doch selbst, wenn man alles zusammenzählt: 60 Milliarden kommen nicht zusammen. Wie formuliert es SPD-Generalin Nahles: „Klar ist, dass wir gleichzeitig Schulden tilgen, die Schuldenbremse einhalten und neue Investitionen tätigen müssen.“