Koalition - die vier Modelle
Die "Sondierungsgespräche" zwischen den Parteien beginnen - was sind die Kombinationen, was ist überhaupt möglich in Berlin?
Schwarz-Rot: Der ungeliebte Favorit
"Gestalten ist prinzipiell besser als opponieren“, sagt Bayern SPD-Fraktionschef Markus Rinderspacher. Die meisten Bundesbürger wünschen sich eine große Koalition. Im Bundestag hätte sie eine Mehrheit von 503 von 630 Sitzen. CSU-Chef Horst Seehofer gibt der großen Koalition „Priorität“. Die SPD solle ihre „staatspolitische Verantwortung übernehmen“.
Die erste große Koalition im Bund gab es von 1966 bis 1969 unter Kurt Georg Kiesinger (CDU), Vizekanzler war Willy Brandt. In den Ländern sind CDU-SPD-Ehen häufiger: In 14 der 16 Bundesländer gab es sie. Derzeit sind es fünf: Thüringen, Sachsen-Anhalt, Saarland, Mecklenburg-Vorpommern und Berlin. Einzige große-Koalitions-freie Zonen bisher: Hamburg und Bayern. Bei der SPD ist die große Koalition offiziell unbeliebt. Auch Rinderspacher sagt: „Die Mitglieder der SPD werden einer großen Koalition nur zustimmen, wenn die SPD im Koalitionsvertrag deutlich sichtbar in Großbuchstaben geschrieben wird und das Regierungsprogramm eine erkennbar sozialdemokratische Handschrift trägt.“ Die Gespräche fänden „ergebnisoffen“ statt.
Das sagen alle SPD-Größen. Rinderspacher sagt aber auch: „Auch wenn die große Koalition 2005 bis 2009 der SPD geschadet hat, so lag das nicht an der Parteienkonstellation, sondern an einzelnen Programmpunkten wie der Rentenpolitik.“ Das dürfe sich nicht wiederholen. Aber: „Es war eine große Koalition Ende der 60er Jahre, die die Kanzlerschaft von Willy Brandt vorbereitet hat. Das aktuelle schwarz-rote Bündnis im Saarland hat der SPD vor Ort sogar Rückenwind beschert.“ Denn auch Rinderspacher weiß: „Dass die Oppositionsrolle der Sozialdemokratie nicht automatisch nutzt, wissen wir im Bund spätestens seit den 80er und 90er Jahren – und in Bayern seit 56 Jahren.“
Schwarz-Grün:Ein riskantes Experiment
"Ich bin überzeugt, dass das ein Experiment wäre, das man versuchen sollte“, sagt Ex-Ministerpräsident Günther Beckstein (CSU). Schwarz-Grün, diese Konstellation kommt zusammen auf 49,9 Prozent der Wählerstimmen. Im Bundestag würde Schwarz-Grün von den insgesamt 630 Sitzen 374 einnehmen.
Für den Bund wäre diese Koalition neu, auf kommunaler Ebene funktioniert das mehr oder weniger schon seit den 90er Jahren. Großstädte wie Frankfurt am Main werden schwarz-grün regiert. Die erste schwarz-grüne Landesregierung gab es in Hamburg von 2008 bis 2010: Sie zerbrach.
Dieter Janecek, Landesvorsitzender der Grünen in Bayern und jetzt auch Bundestagsabgeordneter, liebäugelt mit Schwarz-Grün schon seit längerem. „Meiner Meinung nach wäre natürlich das Beste für Deutschland: eine Regierung mit grüner Beteiligung. Aber das ist kein Wunschkonzert“, sagt Janecek. Die Grünen seien eine eigenständige Partei. „Wir sollten in Zukunft nicht wie jetzt Koalitionen ausschließen – nicht mit der CDU/CSU und auch nicht mit der Linken.“ Die Union war bei den Wahlen sehr stark, das wären „schwere Verhandlungen“, räumt Janecek ein. Das Problem der Glaubwürdigkeit den Wählern gegenüber hätten die Grünen jetzt aber auch mit CDU/CSU.
Auch von Seiten der CSU gibt es Zustimmung: Im AZ-Interview outete sich Schulminister Ludwig Spaenle vor wenigen Tagen als größter Fan von Schwarz-Grün in München. „Ich sehe eine große Schnittmenge bei Schwarz-Grün. Zum Beispiel beim Thema Nachhaltigkeit – ob in der Haushalts- oder Energiepolitik.“
Minderheits- Regierung – schlimm, oder?
"Es klingt immer so schrecklich“, sagt die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD), und meint die Minderheitsregierung. CDU/CSU haben 311 Sitze im Bundestag, zur absoluten Mehrheit fehlen Bundeskanzlerin Angela Merkel fünf Mandate. „Man sollte schon darüber nachdenken, ob man sich punktuell zu bestimmten Dingen vereinbart und dann schaut, wo sind die Handvoll Stimmen, wenn es um Themen geht, die nicht existenziell für Deutschland sind“, sagt Dreyer.
In Deutschland gab es bisher drei Mal eine Minderheitsregierung – immer nur kurz. Der letzte Anlauf war auf Landesebene in Nordrhein-Westfalen: Unter Ministerpräsidentin Hannelore Kraft scheiterte die rot-grüne Koalition nach zwei Jahren. Es kam zu Neuwahlen. Problem in Berlin: Ohne Kanzlermehrheit kann der Bundestag vom Bundesrat überstimmt werden.
Vor allem politische Gegner von Bundeskanzlerin Angela Merkel halten eine schwarze Minderheitsregierung für einen gangbaren Weg. Die Befürworter würden dafür die Oppositionsbank in Kauf nehmen. Freunde dieser Lösung verweisen darauf, dass die Vorgänge transparenter würden, weil wichtige Entscheidungen erst diskutiert werden müssen – ein Zugewinn an Demokratie. Auch SPD-Legende Egon Bahr (91) sieht in einer Minderheitsregierung eine Option: in einer schwarzen oder in einer rot-grünen.
Rot-Rot-Grün: Vorerst noch ausgeschlossen
"Es ist eine ausgezeichnete Idee.“ Verdi-Chef Frank Bsirske kann einer rot-rot-grünen Regierung einiges abgewinnen: Jetzt könne man die Gelegenheit nutzen, den allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn auf den Weg zu bringen und mit 8,50 Euro einzusteigen, bevor in Koalitionsverhandlungen bindende Festlegungen getroffen werden, sagt Grünen-Mitglied Bsirske.
Besonders in Ostdeutschland hat man mit der linken Mehrheit Erfahrung. In Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern und Berlin gab es bereits rot-rot geführte beziehungsweise tolerierte Landesregierungen. Hessens Fast-Ministerpräsidentin Andrea Ypsilanti (SPD) scheiterte 2008 mit einer links tolerierten rot-grünen Minderheitsregierung – weil sie im Wahlkampf eine Zusammenarbeit mit der Linken ausgeschlossen hatte.
Im Bundestag hätten SPD, Grüne und Linke mit 319 Stimmen acht Stimmen mehr als die Union. Obwohl im Vorfeld die Dreier-Kombination ausgeschlossen wurde, gibt es jetzt ein paar Sozialdemokraten, die sich der Linken zumindest in Zukunft öffnen wollen. Der Berliner SPD-Chef Jan Stöß: „Meiner Meinung nach muss es das letzte Mal gewesen sein, dass vor der Wahl ausgeschlossen wird, dass die linken demokratischen Parteien nach der Wahl miteinander sprechen können.“