Klares Ja, klarer Sieg
Berlin - Renate Künast sprach vom wichtigsten Treffen der Grünen seit ihrem Gründungsparteitag, Jürgen Trittin von einem historischen Datum: Der Grünen-Spitze waren gestern keine Worte zu groß, um die Entscheidung des Parteitags zu feiern. Überraschend klar sagt die Basis Ja zum Atomausstieg bis 2022. Und stellt damit wichtige Weichen.
Zu Beginn der hitzigen Sieben-Stunden-Debatte sah es noch gar nicht nach einem so klarem Sieg der Spitze aus. „60 zu 40“ bezifferte Fraktionschef Jürgen Trittin die Chancen zum Auftakt, und da war noch ein bisschen Zweckoptimismus dabei. Die Gegner bekamen ebensoviel Beifall wie die Befürworter. Als Hans-Christian Ströbele ruft: „Die Dinger müssen vom Netz – bis spätestens 2017!“, skandiert es in der Halle begeistert: „Ab! Schal! Ten!“. Besonders Gesine Agena, die Chefin der Grünen Jugend, profiliert sich als neue Kontrahentin gegen die Führungsriege und wirbt für Totalopposition.
Aber die 770 Delegierten hören auch den anderen zu. Parteichefin Claudia Roth: „Wir haben nach jahrzehntelangem Kampf einen wirklichen Sieg errungen. Wir haben diese schwarz-gelbe Regierung zur Wahrheit gezwungen.“ Der jetzt geplante Ausstieg sei besser als der, den man damals mit der SPD erreicht habe. Fraktionschef Jürgen Trittin ruft dann, wie könnten die Grünen denn Nein sagen, wenn ihre zentrale Forderung erfüllt werde. In dem Kompromiss seien ja reihenweise grüne Anliegen eingeflossen. „Wie glaubwürdig ist es, wenn wir gegen unsere eigenen Anträge stimmen?“, so Trittin.
Und auch die Basis ist längst nicht so auf Blockade geschaltet. Nach dem offiziellen Nein der grünen Jugend tritt ausdrücklich die 23-jährige Nina Blinten ans Podium und wirbt für ein Ja: „Wir haben erreicht, was wir jahrelang gefordert haben.“ Auch Vertreter von Umweltgruppen widersprechen den altgedienten Gorleben-Kämpen und preisen das internationale Signal, wenn Deutschland geeint aus der Atomkraft aussteigt. Einen entscheidenden Impuls gibt auch Klaus Töpfer. Den ehemaligen CDU-Minister und auch bei den Grünen respektierten Chef der Ethik-Kommission als Gastredner einzuladen, erweist sich als geschickter Schachzug der Grünen-Führung. Er wird von den Delegierten geradezu gefeiert.
Am Ende geht es nicht 60 zu 40, sondern weit klarer aus: Unter den 770 Delegierten finden sich nur wenige Gegestimmen. Selbst der Antrag, die Grünen mögen bei Bundeskanzlerin Angela Merkel noch nachverhandeln, scheitert überraschend. Dies sei doch „naiv“ (angesichts der Abstimmung schon am Donnerstag), sagt Fraktionsvizechefin Bärbel Höhn. Klar ist aber auch, dass einige Abgeordnete wie etwa Ströbele am Donnerstag Nein sagen werden. „Das muss man aushalten“, erklärte Parteichef Cem Özdemir trocken.
Das Votum der Grünen stellt viele Weichen – auch in Sachen Regierungsanspruch. Die Spitze selbst thematisiert dies auch. Fraktionschefin Renate Künast: „Wir nehmen die Verantwortung ernst, die aus Wahlergebnissen von 20 Prozent und mehr erwächst.“ Trittin, auf den sich jetzt die Augen auch im Hinblick auf eine Kanzlerkandidatur richten, bremst aber schwarz-grünen Gedankenspiele: „Wir wollen nicht mit denen koalieren, wie wollen sie möglichst rückstandsfrei ablösen.“ SPD-Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann: „Das war die Feuertaufe für die Regierungsfähigkeit der Grünen.“ CDU-General Hermann Gröhe sagt, „natürlich“ freue er sich.