„Keine Sorge, er gewinnt!“

Amerika wählt, Hochspanung in den letzten Stunden vor einem historischen Urnengang. Barack Obamas Slogan von „Change“ist mehr als ein Schlagwort: Der Wechsel liegt in der Luft
von  Abendzeitung
Der Kandidat, der Favorit, ab übermorgen auch der Präsident? Barack Obama
Der Kandidat, der Favorit, ab übermorgen auch der Präsident? Barack Obama © dpa

Amerika wählt, Hochspanung in den letzten Stunden vor einem historischen Urnengang. Barack Obamas Slogan von „Change“ist mehr als ein Schlagwort: Der Wechsel liegt in der Luft

Flaggen hängen vor netten einstöckigen Holz- und Backsteinhäusern. Der rot-gelbe Spätherbst ist in diesem Jahr zu warm. Es ist Indian Summer in Park Forrest, Illinois. Orange leuchten Kürbisse auf Haustürstufen. Acht Uhr abends, kein Mensch ist in der Schlafstadt mehr auf der Straße. Das Telefon läutet in 122 Westwood. Es ist Barack Obama.

Er spricht von „Change“ – von Steuern, Krankenversicherung für alle, dem Irakkrieg, der Wirtschaftskrise. Es ist ein automatisches Werbetonband. Ulla Nordquist,72, blondiert, im weißen Hosenanzug, mit indianischen Stickereien, legt auf. Es ist der zigste Anruf seit Tagen. Dabei ist Illinois, der Heimatstaat Obamas, eine sichere Bank für die Demokraten. Selbst die auflagenstarke konservative Zeitung Chicago Tribune hat sich, zum ersten Mal in der Nachkriegsgeschichte, für den demokratischen Kandidaten ausgesprochen.

„Nur, weil Obama von hier ist", schwächt Ulla Nordquist den unheimlichen Gezeitenwechsel ab: „Aber schon seit 30 Jahren hat sich in der Gegend viel geändert." Die ersten schwarzen Middleclass-Familien zogen aus Ghettos, wie Chicago Heights, hierher. „Die Immobilienpreise sind sofort gesunken." Heute sind die Nachbarn überwiegend schwarz. Und im Vorgarten gegenüber steckt im kurzgeschorenen Rasen das blaue Schild mit weißer Schrift: Obama / Biden. Man bekennt sich. Schilder im Garten, Autoaufkleber - im gefühlten Verhältnis 5:1 für Obama.

Die alte Dame überlegt, erstmals einen Demokraten zu wählen

Ulla Nordquist überlegt, ob sie, erstmals seit Jahrzehnten, einen Demokraten wählen soll, weil die acht Jahre Bush so schrecklich endeten. „Obwohl“, behauptet sie: „McCain ist überhaupt kein Bush-Freund. Aber für die zersplitterte Partei muss er den Konservativen spielen, Steuersenkungen versprechen, gegen Abtreibung sein und das Militär verteidigen." Kein gutes Weiter-so-Programm in Krisenzeiten. Ulla ist erstaunt, wie viele jetzt auch privat über Politik reden: „Zusammen mit Sex oder Religion oder Geld war das immer tabu.“

Es regnet nie in Südkalifornien, sagt man. In Los Angeles ist es wirklich noch heiß und auch abends nicht kühler als im klimatisierten Limousinen-Honda. Heidi Schmids Eltern sind lange vor ihrer Geburt aus München eingewandert. Max heißt ihr sechsjähriger Sohn, der seit drei Monaten in eine rein spanische Schule geht. „Er wird das schaffen", sagt Heidi und ist stolz, dass ihr Sohn die zweite Sprache Kaliforniens spricht. "Sí, se puede!" - die spanische Version von Obamas "Yes, we can!", hat er schon aus der Schule mitgebracht. "Obamos!", ein Wortspiel aus Obama und Vamos! – Auf gehts!, skandieren Latinos, wenn Obama auftritt. Ursprünglich hatte Heidi für Hillary Clinton gespendet.

Aber mit Obama hat sie kein Problem: „Er hat geschafft, was niemand geglaubt hat: Schüler, die sonst nur Sex und Computerspiele im Kopf hatten, Hispanics, die wegen ihrer Familienwerte immer Republikaner gewählt haben, und viele Null-Bock-Schwarze kommen jetzt zu Versammlungen, arbeiten mit, dass diesmal alle zur Wahl gehen und für ihre Interessen stimmen – also Obama wählen."

Palin-Kostümierung gewinnt beim Horor-Wettbewerb

Der Zug von Los Angeles nach San Francisco folgt lange der grüngrauen Pazifikküste, um dann in die sonnenversteppte, sandfarbene Hügellandschaft einzuschwenken. Er braucht für 550 Meilen elf Stunden, kostet aber nur 52 Dollar. Drinnen sitzen Indianer, ein paar Latinos, romantische Intellektuelle, Althippies und liberale Snobs. Sie schauen von Pullmannsitzen in die Landschaft. Beim Lunch im Panoramawagen sitzen Laura und ihr pensionierter Lehrer-Mann mit am Tisch. Ob die Hautfarbe Obamas wirklich keine Rolle spielt, wie alle behaupten? „Vergessen Sie den Bradley-Effekt nicht!", sagt Laura. Sie stammt aus Berkeley, auf der anderen Seite der San-Francisco-Bay. Und Robert erzählt, wie 1982 in Kalifornien bei der Gouverneurswahl der schwarze Bürgermeister von Los Angeles, Tom Bradley, in allen Umfragen führte und am Wahltag verlor: „Viele weiße Männer haben bei Umfragen politisch korrekt gelogen und in der Kabine für den weißen Republikaner gestimmt."

Auf dem Campus der Elite-Uni Berkeley ist politische Betätigung verboten. Deshalb tummeln sich alle mit Flugblättern, Infoständen vor dem würdigen gusseisernen Tor. Hier begann vor fast viereinhalb Jahrzehnten die Flower-Power-Hippiezeit. Heute liegen hier zwei Mädchen in Shorts und „Obama-08“T-Shirts im Gras hinter ihrem Broschüren-Tisch der Student Democrats: „Keine Sorge, er gewinnt. Allein wir hier in Berkeley haben fast 200 Freiwillige“, sagen die Studentinnen. „Sie gehen von Haus zu Haus und machen Anrufe.“ Was macht sie so zuversichtlich? „Obama hat einfach die besseren Argumente. Den Leuten ist die Hautfarbe egal. Alle haben kapiert: Es gibt Wichtigeres als die Frage, wie afroamerikanisch Obama ist, bei der ganzen Scheiße, die Bush und Cheney hinterlassen.“ Und sie werden nicht müde, den Gegenkandidaten im selben Atemzug mit dem scheidenden Präsidenten zu nennen: „McCain hat neunzigprozentig mitgestimmt."

Dennoch ist auch der Kriegsheld beliebt - nicht nur in Colorado, dem Westernstaat. Die Hauptstadt Denver in direkter Nähe zu den Rocky Mountains boomt. Auf der Halloweenparty von Kim sind 50 Leute, meist Twens, alle traditionsgemäß in Horror-Kostümen verkleidet. Ein verlobtes Pärchen ist als McCain und Sarah Palin gekommen. Sie werden unter Gejohle für die Kostümierung gefeiert. Keiner dieser jungen weißen Mittelschichtler würde Republikaner wählen: „Moose-olini“ nennt die falsche Palin mit Hochsteckfrisur, Handtasche und Kostüm die echte Vize-Kandidatin. Moose, der Elch, ist das Symboltier Alaskas, der Heimat Palins. Und dass Palin diktatorisch wäre wie Italiens Duce Mussolini, wenn sie könnte, daran zweifelt hier niemand.

Polizisten und Aklternative singen vereint

Jetzt ist die Provinz dran - Pueblo, eine harte kleine Industriestadt mit Stahlwerken und hohen Hispano-Anteil. Die Hauptstraße mit den halbhohen Backstein-Westernhäusern ist gesperrt. Eine Stunde lang stehen 15 000 Menschen in immer noch sengender Herbstsonne vor Sicherheitsschleusen wie am Flughafen – mit Sonnenbrillen, Transparenten und Wasserflaschen. Nach einer weiteren Stunde singt ein schwarzes junges Mädchen im roten Pailettenmini mit kräftiger Soulstimme die Nationalhymne wie einen Gospel. Weiße, Dunkle, Frauen, Männer, Tätowierte, Baseballmützenträger, Alternative, viele Teenies, aber auch die lokalen Police-Officer, singen mit.

Und als er kommt und vorne im hellblauen Hemd kraftvoll, nicht predigend, charmant, aber staatsmännisch von Menschen erzählt, die ohne Krankenversicherung um ihr Leben kämpfen, Angst um ihren Arbeitsplatz haben und einen Aufbruch verspricht, wenn sich Amerika auf seine Werte, wie Fleiß, Demokratie und Gemeinschaftssinn besinnt, da liegt die Chance für „Change“ in der staubig heißen Luft.

Adrian Prechtel

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