Keine Reue, kein Bedauern, nichts
MÜNCHEN Jetje Manheim (64) hält das Urteil für angemessen. Fünf Jahre Haft – das findet er richtig. John Demjanjuk wurde vom Münchner Landgericht für schuldig befunden, als sogenannter „Trawniki”-Wachmann im Vernichtungslager Sobibor an der Ermordung von 28060 Menschen beteiligt gewesen zu sein. Dennoch verlässt er das gercht als freier mann.
Fünf Jahre Haft sollen seine Strafe sein. „Mehr wollte ich nicht”, sagt Manheim. Die Staatsanwaltschaft hatte sechs Jahre Haft gefordert, die Verteidiger plädierten auf Freispruch. Anwalt Ulrich Busch will in Revision gehen.
Als Richter Ralph Alt in seiner Urteilsbegründung alle 16 Transporte, die in die Demjanjuk-Zeit in Sobibor fallen, und die ermordeten Angehörigen der Nebenkläger aufzählt, kann sich Jetje Manheim nicht mehr beherrschen. Die Tränen schießen ihr in die Augen, eine Nachbarin nimmt sie tröstend in den Arm. „Die gesamte Familie meines Vaters wurde ermordet”, erzählt die Vorsitzende der Sobibor-Stiftung.
„Für mich ist der Schuldspruch wichtig, um alle die wie Demjanjuk beteiligt waren, daran zu erinnern, dass sie sich ihrer Verantwortung nicht entziehen können.” Manheims Meinung teilen viele Angehörige der Opfer. So wie Jules Schelvis (90), der überlebte, weil er ausgesondert wurde. Seine Frau starb im Vernichtungslager. Doch er hätte nichts dagegen gehabt, wenn die Strafe milder ausgefallen wäre, solange nur die Schuld festgestellt wird.
„Der Angeklagte war Teil der Vernichtungsmaschinerie”, sagt Alt. Der Dienstausweis 1393 und andere Dokumente reichten dem Gericht, um zu dieser Überzeugung zu kommen. Ein individueller Tatbeitrag wurde nicht bewiesen. Allen „Trawniki” sei aber klar gewesen, was dort geschah, sagte der Vorsitzende Richter. Der Feuerschein der Krematorien sei überall zu sehen gewesen, der Gestank des verbrannten Fleisches zu riechen.
Nur ein Sündenbock?
Ulrich Busch reicht diese Argumentation nicht. Der Verteidiger Demjanjuks kündigt Revision beim Bundesgerichtshof an. Es könne nicht sein, dass „auf den Tatnachweis verzichtet wird, nur um einen „Sündenbock zu verurteilen”. Busch hatte und insgesamt 516 Anträge eingereicht. Alle wurden abgewiesen.
Das letzte Wort des Angeklagten war ein leises „Nein”, das er mit einem Kopfschütteln unterstrich. Kein Wort des Bedauerns, der Reue, nichts. Bei der Urteilsverkündung hatte Demjanjuk aufrecht im Rollstuhl gesessen und dem Richter zum ersten Mal direkt ins Auge gesehen. Den Schuldspruch nahm er reglos auf, bei der Urteilsbegründung, die er wieder liegend im Bett verfolgte, hob er die Hände, als wollte er sagen: „Ja, was soll man da machen?”
Unterstützung bekam er von einer Zuhörerin, die den Prozess laut als „Farce” bezeichnete. Vor dem Justizzentrum hatte sich ein Einzelkämpfer postiert, der im Namen der Menschenwürde Freiheit für Demjanjuk verlangte.
Doch diesem Argument begegnete Richter Alt: „In Sobibor starben Menschen die über 90 Jahre alt waren,. Sie hätten es verdient gehabt, in Würde zu sterben.” Stattdessen seien sie nackt in die Gaskammern getrieben worden. John Demjanjuk, davon ist das Gericht überzeug, hat dabei mitgeholfen. Mit Blick auf die zweijährige Untersuchungshaft und aus Gründen der Verhältnismäßigkeit hob das Gericht den Haftbefehl auf. Wo Demjanjuk jetzt unterkommt, ist unklar.