Kein Recht auf Rosinen

Das Verfassungsgericht watscht in seinem Urteil die privaten Kassen ab – und öffnet den Weg für noch mehr Solidarität im Gesundheitswesen. Für die Versicherten könnte es ohnehin bald teurer werden
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Patientenkarten von gesetzlichen Kassen – wie lange gibt es noch das Nebeneinander von PKV und GKV? Foto: ddp
az Patientenkarten von gesetzlichen Kassen – wie lange gibt es noch das Nebeneinander von PKV und GKV? Foto: ddp

BERLIN - Das Verfassungsgericht watscht in seinem Urteil die privaten Kassen ab – und öffnet den Weg für noch mehr Solidarität im Gesundheitswesen. Für die Versicherten könnte es ohnehin bald teurer werden

Rückenwind für die Reformer: Das Urteil des Bundesverfassungsgericht zur Gesundheitsreform hat nicht nur Folgen für die privaten Kassen – sondern es öffnet vernehmbar den Weg für die Bürgerversicherung oder eine andere Art von Einheitskasse.

Was sagt das Urteil?

Die privaten Kassen haben auf ganzer Linie verloren. Im Rahmen der Gesundheitsreform wurden sie ein wenig an die Kandare genommen und unter anderem gezwungen, einen Basistarif einzuführen, in den Kunden unabhängig von ihrer Gesundheit aufgenommen werden müssen. Das beeinträchtige ihre Unternehmensfreiheit, lautet die Klage, an der sich fast alle privaten Kassen beteiligt hatten. Egal, sagten dazu die Karlsruher Richter: Schwerer als das kommerzielle Interesse der Firmen wiege der „überragend wichtige Gemeinwohlbelang“, zum Beispiel die Stabilisierung der gesetzlichen Kassen. Die Untergangsszenarien seien ohnehin übertrieben, bisher hätten erst 6000 Menschen den Basistarif gebucht, der Gesetzgeber möge dies aber „beobachten“.

Was heißt das für die Zukunft der privaten Kassen?

Gleich reihenweise liefert das Urteil Stichworte für einen noch weitergehenden Umbau des Versicherungssystems: Der Gesetzgeber könne aus dem „Sozialstaatsgebot“ das Recht ableiten, die privaten Kassen zur Solidarität zu zwingen. Diese hätten kein Recht, sich nur die Reichen und Gesunden herauszupicken und die Kostenlast schlechter Risiken den gesetzlichen Kassen aufzubürden. „Eine solche einseitige Risikoverteilung sieht die Verfassung nicht vor.“

Wie sind die Reaktionen?

Die privaten Kassen versuchten, das Urteil möglichst positiv zu interpretieren: Immerhin bestätige es grundsätzlich die Existenz von privaten Krankenkassen, berief sich der Verband auf die „Beobachtungspflicht“. Alle anderen sahen in der Tat den Weg in eine Einheitsversicherung geöffnet – ob sie dies nun gut oder schlecht fanden. Der DGB sah ein „hoffnungsvolles Signal“: „Die nächste Reform muss genutzt werden, die PKV in den Finanzausgleich mit einzubeziehen“, so Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach. „Damit wird der Rosinenpickerei der Privaten Grenzen gesetzt“, freut sich die IG Metall. Heftige Kritik kam von den Ärzten. Jürgen Fedderwitz, Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung: „Die Verfassungsrichter haben sämtliche Maßnahmen mit einem Unbedenklichkeitsstempel versehen. Das ist ein schwerer Schlag für das duale Kassensystem, ein Dammbruch Richtung Einheitsversicherung.“ Auch bei Union und SPD gab es viele Stimmen, die ein Signal für weitere Reformen sehen.

Was kommt jetzt auf die Versicherten zu?

An den Beiträgen ändert sich zunächst nichts. Zum 1. Juli greift ohnehin erstmal die im Konjunkturpaket II beschlossene Senkung um 0,6 Prozentpunkte, die mit Steuerzuschüssen finanziert wird. Momentan ist der Gesundheitsfonds noch im Plus, doch angesichts der Wirtschaftskrise erwarten die Kasse Einnahmeausfälle bis zu drei Milliarden Euro, wurde gestern bekannt. Vorerst will die Regierung das Defizit mit Krediten überbrücken (immerhin ist Wahljahr). Doch ab 2010 könnten die ersten Kassen gezwungen sein, Zusatzbeiträge zu erheben. tan

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