Karadzic vergleicht UN-Gericht mit Nazi-Justiz

Der frühere bosnische Serbenführer Karadzic will nicht zur Prozesseröffnung vor dem UN-Kriegsverbrecher- tribunal erscheinen. In einem Brief schießt er scharf gegen den Gerichtshof. In Den Haag reagiert man gelassen.
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Karadzic vor dem Gerichtshof in Den Haag im März 2009: Nun will er seinen Prozess boykottieren.
dpa Karadzic vor dem Gerichtshof in Den Haag im März 2009: Nun will er seinen Prozess boykottieren.

DEN HAAG - Der frühere bosnische Serbenführer Karadzic will nicht zur Prozesseröffnung vor dem UN-Kriegsverbrecher- tribunal erscheinen. In einem Brief schießt er scharf gegen den Gerichtshof. In Den Haag reagiert man gelassen.

Der wegen Völkermords angeklagte ehemalige bosnische Serbenführer Radovan Karadzic boykottiert seinen Prozess. Das Verfahren gegen ihn sei «unfair». Er werde zur Prozesseröffnung am kommenden Montag nicht vor den Richtern erscheinen, erklärte Karadzic in einem am Donnerstag veröffentlichten Brief an den UN-Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien in Den Haag. In dem Schreiben versteigt sich Karadzic sogar zu einem Vergleich des UN-Gerichts mit der Nazi-Justiz.

Als wichtigsten Grund für seinen Boykott gibt der 64-Jährige an, ihm sei nicht genügend Zeit zur Vorbereitung seiner Verteidigung eingeräumt worden. Die Staatsanwaltschaft habe ihn «begraben unter einer Million Seiten» von Dokumenten «nur um dann relevantes Material erst viele Monate nach meiner Verhaftung herauszugeben», heißt es in dem vom UN-Gerichtshof veröffentlichten Brief vom Mittwoch. Darin wirft Karadzic dem Gerichtshof indirekt vor, ein Instrument «der Feinde Serbiens und der Nato» zu sein.

Eine Vertagung ist nicht geplant

Die Gerichtssprecherin Nerma Jelacic sagte auf Anfrage, es gebe ungeachtet der Boykottankündigung «derzeit keinerlei Anzeichen für eine Vertagung» des Prozesses. «Die Kontrolle über das Verfahren liegt einzig und allein bei den Richtern.» Zum Inhalt des Briefes wollte die Sprecherin nicht Stellung nehmen. In dem stark polemisierenden Schreiben vergleicht Karadzic sein Verfahren wegen Völkermordes und anderen Verbrechen gegen die Menschlichkeit während des Bosnienkrieges 1992-1995 mit dem von den Nationalsozialisten inszenierten Prozess um den Reichstagsbrand im Jahr 1933. Damals habe der bulgarische Kommunistenführer Georgi Dimitrow wider Erwarten seinen Freispruch erwirkt. «Sollte ich Dimitrow um die fairen Bedingungen und den fairen Prozess beneiden?», heißt es in Karadzics Brief.

Es geht auch ohne Karadzic

In juristischen Kreisen in Den Haag hieß es, der Prozess könne ohne weiteres auch ohne Karadzics eröffnet werden. Zudem könne der Angeklagte jederzeit auf Anweisung der Richter gezwungen werden, vor dem Gericht zu erscheinen, wenn dies als nötig erachtet wird. Karadzic sitzt im UN-Gefängnis im Haager Stadtteil Scheveningen in Untersuchungshaft. Er verteidigt sich auf eigenen Wunsch selbst. Er wird dabei allerdings hinter den Kulissen von einem professionellen Team unter Leitung des kalifornischen Anwalts Peter Robinson beraten.

Ein Antrag Karadzics auf mehrmonatige Verschiebung des Prozesses war Anfang Oktober von der Berufungskammer des UN-Gerichtshofes abgelehnt worden. Die Richter erklärten, der Angeklagte habe nach seiner Verhaftung im Juli vergangenen Jahres genügend Zeit gehabt, die Vorwürfe gegen ihn zu studieren. Karadzic werden Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit während des Bosnienkrieges von 1992 bis 1995 in elf umfangreichen Fällen vorgeworfen, darunter zwei Fälle von Völkermord. (dpa)

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