Kapitalismuskritiker gehen auf die Straße
Berlin - In Frankfurt am Main erwartet die Polizei rund 1000 Demonstranten vor dem Sitz der Europäischen Zentralbank (EZB). In Berlin wollen Protestierende zum Kanzleramt ziehen. Größere Demonstrationen werden auch in Köln, München, Hamburg, Hannover, Leipzig und Stuttgart erwartet.
Die Kundgebungen sind Teil eines weltweiten Aktionstages. Unter den Organisatoren sind auch die Globalisierungskritiker von Attac. Vorbild der Demonstrationen ist die amerikanische Protestbewegung "Occupy Wall Street" ("Besetzt die Wall Street"), die sich gegen das Finanzsystem und große Teile der Bankenwelt wendet.
"Occupy Wall Street" begann vor etwa einem Monat als kleinere Protestbewegung in New York, seither hat sie dort Tausende Menschen mobilisiert und weltweit Beachtung gefunden. Die globale Protestwelle soll alle fünf Kontinente umfassen. Nach Angaben der Website "www.15october.net" erreichen die Demonstrationen und kleineren Aktionen weltweit etwa 1000 Städte.
Mit Blick auf die Banken fordern Politiker nun einen neuen Gehaltsdeckel für Banker. Der Grünen-Vorsitzende Cem Özdemir sagte der "Bild"-Zeitung (Samstag): "Wenn Banken mit Steuergeldern gerettet werden, muss für die Vorstände und andere Mitarbeiter selbstverständlich eine Obergrenze für Gehälter gelten. Und ob diese eingehalten wird, muss auch kontrollierbar sein." Ebenso müssten "Bonus-Zahlungen und Gewinnausschüttungen ausgeschlossen sein, bis die Staatshilfe zurückgezahlt ist. Auch FDP-Fraktionsvize Florian Toncar sprach sich für eine Obergrenze der Bankergehälter aus: "Sollten Banken erneut staatliche Hilfen in Anspruch nehmen, muss für die betroffenen Vorstände wieder ein Gehaltsdeckel gelten."
Der SPD-Haushaltsexperte Carsten Schneider betonte: "Die Banken haben nach der Finanzkrise munter weiter spekuliert und bereits im letzten Jahr wieder hohe Dividenden ausgeschüttet. Sie haben darauf vertraut, dass sie durch die Staaten gerettet werden. Wenn die Bundesregierung ihren Kurs erneut ändert und künftig Banken wieder mit Milliarden-Beträgen stützen will, dann muss dieses Mal der Staat aber auch eine Mitsprache erhalten." Außerdem müssten "die Bankvorstände Gehaltseinbußen hinnehmen und gewinnabhängige Zuschläge (Boni) höher besteuert werden", verlangte Schneider.
Die Chase-Bank in New York soll heute unangenehmen Besuch bekommen. Die Aktivisten von "Occupy Wall Street" haben alle Anhänger aufgerufen, massenhaft ihre Konten bei der in der Stadt verbreitetsten Bank aufzulösen. Damit soll gegen die Politik der Großbank JPMorgan Chase protestiert werden, die kleine Unternehmen benachteilige und Steuergelder trotz Millionengehältern in Anspruch nehme. Die Konten sollen aufgelöst und das Geld bei Genossenschaftsbanken angelegt werden. "Chase hat 94,7 Milliarden Dollar vom Staat bekommen und dann 14 000 Angestellte entlassen", heißt es in einem Aufruf. Gleichzeitig habe keine Bank so viele Hypotheken gekündigt wie Chase und viele Familien in Not gebracht.
Die Protestbewegung gegen Auswüchse auf den Finanzmärkten könnte nach Ansicht des Wirtschaftspsychologen Erich H. Witte zu einem anti-materiellen Zeitgeist führen. "Es könnte darauf hinauslaufen, dass der Finanzmarkt nicht mehr eine so hehre Größe ist und auch Geld nicht mehr eine so bedeutende Rolle spielt", sagte der Hamburger Psychologie-Professor der Nachrichtenagentur dpa.
Bisher seien die komplizierten Finanzprodukte vielen Menschen schlicht gleichgültig gewesen, sagte Witte. Durch die lang andauernde Finanzkrise hätten sie nun aber anscheinend eine negative Einstellung dazu bekommen. Wer mit Geld Geld verdiente, habe lange als "Cleverle" gegolten, und der Finanzsektor "mit all den Yuppies und Großverdienern" sei lange positiv besetzt gewesen. "Das ist gekippt", sagte Psychologe. "Wenn es weltweit eine negative Einstellung gegen die Finanzwelt gibt - und das scheint zu passieren -, dann müssen sich die Banker und der ganze Finanzmarkt in Zukunft warm anziehen."