Kanzlerin Merkel unter Druck: Der Euro steht am Abgrund
Die europäische Währung ist so gefährdet wie noch nie. Ab Donnerstag will ein Gipfel versuchen, sie zu retten – und Bundeskanzlerin Angela Merkel spielt dabei eine zentrale Rolle.
BERLIN Der Euro am Scheideweg – und damit ganz Europa: Ab Donnerstag werden auf dem Euro-Gipfel Weichen gestellt, die über die Zukunft unserer Währung entscheiden. Eine Schlüsselrolle spielt die deutsche Kanzlerin Bundeskanzlerin Angela Merkel. Und die steht massiv unter Druck. Das war ihr auch gestern bei der Regierungserklärung zu diesem Thema anzumerken: „Der Euro ist unser gemeinsames Schicksal, und Europa ist unsere gemeinsame Zukunft.“
Wie ernst ist die Lage? Sehr ernst. Nach außen hin soll beim EU-Gipfel business as usual herrschen: „Sie wollen es bewusst langweilig halten“, sagt ein Diplomat – um die Bürger und vor allem die Finanzmärkte nicht noch mehr aufzuschrecken. Aber intern sehen es viele düster: „Wir stehen am Abgrund“, zitiert der „stern“ einen Finanzmenschen. Ein Regierungspolitiker: „Allen geht die Düse. Wie viele Ertrinkende können sich an einen Rettungsring klammern?“ „Ich werde alles tun, um zu verhindern, dass der Euro auseinanderbricht“, sagt Finanzminister Wolfgang Schäuble. Die Hauptsorge ist ein Dominoeffekt: Wenn immer mehr Länder unter den Rettungsschirm flüchten müssen, so dass es schließlich auch die starken Staaten mitreißt. „Das wäre die Mutter aller Finanzkrisen“, sagt US-Währungsforscher Barry Eichengreen.
Was ist geplant? Auf dem Gipfel in Brüssel soll es um Rettungsmechanismen gehen – für einzelne Länder und für die gesamte Währung. Der Vertrag von Lissabon soll geändert werden. Ein Hauptpunkt ist der Rettungsschirm, der derzeit mit 750 Milliarden Euro ausgestattet ist, seine Ausgestaltung und seine Zukunft. Ein anderer ist die Frage nach so genannten Euro-Bonds: Anleihen, die die Länder gemeinsam herausgeben.
Welche Rolle spielt Deutschland? Eine zentrale. Merkel hat viel Unmut auf sich gezogen. Erst gestern warf ihr Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn Arroganz vor, sein Regierungschef Jean-Claude Juncker neulich „simple und uneuropäische“ Ideen. Merkel schielt nur noch auf die deutschen Stammtische, heißt die Kritik. Sie versuchte ihr gestern bei ihrer Rede im Bundestag zu begegnen: „Europa gelingt gemeinsam. Europa gelingt nur gemeinsam.“ Ihre Strategie: Berlin konzentriert sich mit aller Macht auf den Rettungsschirm. Über Euro-Bonds – von Schwarz-Gelb heftig abgelehnt, von der SPD gefordert – will Merkel in Brüssel möglichst nicht mal reden. Dann müsste auch Deutschland in der Mischkalkulation mehr Zinsen zahlen, dann nähme der Druck auf die Schuldenstaaten ab, ihren Haushalt durch strikte Sparkurse zu sanieren. Das stimmt zwar, doch Kritiker warnen, dass es für Deutschland erst recht teuer kommen könnte, wenn es Hilfe jetzt verweigert und der Euro dann tatsächlich kippt. Das nächste Dilemma: Die strikten Sparkurse wie in Griechenland sorgen für Aufruhr (siehe Kasten) und könnten das Wachstum so abwürgen, dass das Land seine Schulden erst recht nicht zahlen kann.
Dann eben kein Euro mehr? Einige Nostalgiker liebäugeln wieder mit der D-Mark – doch ein Ende des Euro hätte kaum absehbare Folgen für Deutschland. In der aktuellen Krise etwa hätte eine deutsche Währung massiv aufgewertet werden müssen: Das hätte die Waren derart verteuert, dass der Export das Land eben nicht aus der Krise ziehen hätte können. Das Dilemma spiegelt sich auch in der Meinung der Bürger: Eine Mehrheit sieht den Euro skeptisch, so eine stern-Umfrage. Aber: Ebenfalls eine Mehrheit will ihn trotzdem behalten.
tan