Kann man China trauen?
Pekings Führung will den Dialog mit dem Dalai Lama wieder aufnehmen. Politiker zeigen sich erleichtert. Doch Kritiker bezweifeln, dass das Regime es ernst nimmt.
Am Freitag hat das Zeitalter der Milde begonnen. Es wurde ausgerechnet in Peking proklamiert. Die sonst so sture Regierung ließ über ihre Nachrichtenagentur Überraschendes verbreiten: Die Chinesen wollen den Dialog mit dem Dalai Lama wieder aufnehmen. Regierungsvertreter wollen sich mit einem Abgesandten des geistlichen Oberhaupts der Tibeter treffen – schon in den nächsten Tagen.
Die Entscheidung der Chinesen erfolgt auf großen internationalen Druck hin: Nach den blutigen Unruhen in Tibet Mitte März und den weltweiten Protesten beim olympischen Fackellauf musste die kommunistische Regierung reagieren. Schließlich sind es bis zu den Spielen in China nur noch drei Monate. EU-Kommissions-Chef José Manuel Barroso hatte noch am Freitag in Peking auf ein Treffen beider Seiten gedrungen.
Nur ein geschickter PR-Trick?
Während sich Politiker in aller Welt jetzt erleichtert zeigen, bezeichnen Menschenrechtler den Schritt der Chinesen als geschickten PR-Trick und befürchten, dass sich im Verhältnis China-Tibet nichts ändert. Auch die Tibeter selbst sehen das so. Aus seinem Exil ließ der Dalai Lama ausrichten, dass er zu Gesprächen bereit sei. Die deutsche Regierung zeigte sich erleichtert: „Wir begrüßen diesen Schritt ausdrücklich“, hieß es aus dem Außenministerium. Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy nannte die Aussicht auf Gespräche einen Grund zur Hoffnung. Der Franzose hatte mit einem Boykott der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele gedroht, sollte es beim Thema Tibet keine Fortschritte geben.
Ulrich Delius von der „Gesellschaft für bedrohte Völker“ bezeichnet den Schritt der Chinesen als „geschickten Medien- Clou“. Den Grund für das Gesprächsangebot glaubt Delius zu kennen: „Das war eindeutig der Fackellauf.“ Politiker hätten erst reagiert, als bei jeder Station des Fackellaufs tausende Menschen für Tibet auf die Straße gegangen seien. „Die Politiker sind erst tätig geworden, als der öffentliche Druck da war“, sagt der Tibet-Experte.
"Trügerisches Zeitalter der Milde"
Auch in Deutschland: Bereits 1996 habe der Bundestag eine Tibet-Resolution verabschiedet, in dem China zur Einhaltung der Menschenrechte aufgefordert wird. Jetzt erst erinnerten sich die Politiker daran, kritisiert Delius. Von den Sponsoren der Spiele sei kein Druck auf die Chinesen ausgeübt worden: „VW und Adidas sind viel zu sehr auf den Absatz ihrer Produkte in China fixiert“, sagt Delius.
Die Wirkung des „PR-Coups“ sei fatal: „Die internationalen Regierungen lehnen sich zurück – jetzt ist der Druck erst einmal wieder weg.“ Den Chinesen gehe es nur darum, Ruhe vor den Olympischen Spielen zu haben. Delius’ Fazit: Die Situation der Tibeter wird sich auch im trügerischen Zeitalter der Milde nicht ändern.
Volker ter Haseborg