Kairo: Wir sind das Volk

Nach dem Freitagsgebet ist ganz Kairo auf den Beinen, und erstmals rücken Demonstranten bis zum Präsidentenpalast vor. Dem Staatschef bleibt nur noch eine Wahl: Er flieht per Hubschrauber
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Kairo - Es ist der Tag des Aufbruchs nach der Enttäuschung: Am Tag 18 seit dem Ausbruch der Proteste in Ägypten hält es die Demonstranten nicht mehr auf ihrem angestammten Protestzentrum, dem Tahrir-Platz. Erstmals bewegt sich die Masse auf den Palast des verhassten Präsidenten Husni Mubarak zu – ein riskanter Schritt. Denn dort sorgt nicht nur die bedächtige und mit der Protestbewegung sympathisierende ägyptische Armee für Ordnung. Sondern auch die Präsidentengarde, und die ist Mubarak treu ergeben.
Doch während sich Tausende am Palast einfinden und es schon zu Rangeleien mit Sicherheitskräften kommt, ist eines völlig unklar: Ist der 82-jährige Autokrat eigentlich noch da? Mittags meldet der arabische TV-Sender al-Arabija, Mubarak habe samt Familie Kairo verlassen. Sicherheitskreise wollen von einem Hubschrauber wissen, mit dem Mubarak gestartet sei – aber wohin? Im Badeort Scharm el-Scheich am Roten Meer haben die Mubaraks eine Villa, sie könnte als Zwischenexil dienen. Dafür spricht, dass an den Zufahrtsstraßen dort Polizei zusammengezogen wird. Bestätigt ist die Flucht zwar nicht, aber die Nachricht sorgt für Furore.
Vor allem nach den Ereignissen in der Nacht zuvor. Da hatte der greise Staatschef nicht nur sein eigenes Land gefoppt, sondern die ganze Welt. Erst galt sein Rückzug schon als ausgemacht, dann ließ eine angekündigte TV-Ansprache Mubaraks ewig auf sich warten. Schließlich sprach der Präsident und blieb einfach im Amt. Das machte nicht nur die Ausharrenden auf dem Tahrir-Platz fassungslos, sondern Politiker überall auf dem Globus, zuvorderst Barack Obama. Der US-Präsident hatte sich schon Stunden zuvor aus dem Fenster gehängt und vom „Moment des Wandels” gesprochen.

Obama hat Mubarak satt

Am Tag danach steht Obama ganz oben auf der Liste derer, die Mubaraks Spielchen satt haben. „Die ägyptische Regierung muss einen glaubwürdigen, konkreten und unzweideutigen Weg hin zu echter Demokratie aufzeigen, und sie hat diese Gelegenheit noch nicht ergriffen", spricht der Präsident Klartext. Ihn dürfte besonders erbost haben, dass Mubarak sich eigens noch zum Bollwerk gegen jedes „ausländische Diktat” hochstilisierte: eine kaum verhüllte Attacke auf die USA.
Folgerichtig ist Obama des Lobes voll für die Demonstranten: „Sie haben deutlich gemacht, dass Ägypten ihre Hoffnungen widerspiegeln, ihr höchstes Streben erfüllen und ihre grenzenlosen Möglichkeiten nutzen muss. Ich weiß, dass die Ägypter in diesen schwierigen Zeiten durchhalten werden.” Die Ägypter, so Obama, „müssen wissen, dass sie in den USA weiterhin einen Freund haben.” Auch Europa legt nun einen Gang zu. Als erster EU-Regierungschef verlangt der Däne Lars Lökke Rasmussen einen Abgang ohne Wenn und Aber: „Mubarak ist Geschichte, Mubarak muss zurücktreten”.
Auf dem Tahrir-Platz in Kairo und in ganz Ägypten hören die Menschen diese Worte gern. Hunderttausende sind nach dem Freitagsgebet zur Demonstration geströmt, wahrscheinlich so viele wie noch nie. Auch an anderen Orten in der Hauptstadt und im ganzen Land sind die Menschen auf den Straßen: Sie umschließen Regierungsgebäude und Fernsehstationen und: Immer mehr Soldaten schließen sich ihnen an. Die einen demonstrieren offen mit, die anderen signalisieren Unterstützung dadurch, dass sie auf ihren Panzern sitzen und einfach zusehen. Die Armee ist der zentrale Faktor und das Oberkommando scheint entschlossen, diese Rolle wahrzunehmen: „Wir garantieren den Weg zu freien und fairen Wahlen und einer demokratischen Gesellschaft.”

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