Justiz entlässt Kriminelle aus U-Haft

Zu viel Beweismaterial, zu wenig Personal: Weil die Justiz bei der Aufklärung von Straftaten zu langsam ist, kommen mutmaßliche Straftäter aus der U-Haft frei. Und zwar nicht nur in Einzelfällen.
Claudia Thaler, dpa |
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Weil die Justiz bei der Aufklärung von Straftaten zu langsam ist, kommen mutmaßliche Straftäter aus der U-Haft frei.
dpa Weil die Justiz bei der Aufklärung von Straftaten zu langsam ist, kommen mutmaßliche Straftäter aus der U-Haft frei.

Die deutsche Justiz scheitert immer wieder daran, mutmaßlichen Kriminellen frIstgerecht den Prozess zu machen. Verdächtige müssen wegen zu langsamer Arbeit von Ermittlungsbehörden und Gerichten auf freien Fuß gesetzt gewerden. Nachdem jüngst zwei - inzwischen rechtskräftig verurteilte - Totschläger in Hamburg ein erstes Urteil gegen sie anfochten, wurden sie wegen überlanger Verfahrensdauer auf freien Fuß gesetzt. Regierung und Justiz in Hamburg brachte das in Erklärungsnot. Solche Fälle sind in Deutschland keine Seltenheit, wie eine Umfrage der Deutschen Presse-Agentur in den Ländern ergab.

Die häufigsten Gründe: Einerseits dauern die Ermittlungen zu lange, bis es überhaupt zu einem Prozess kommt. Andererseits können sich die Prozesse durch die Menge an Beweismaterial zu sehr in die Länge ziehen. Durch Auswertung von DNA, Überwachungskameras oder Handys werden auch mehr Sachverständige benötigt, zusätzliche Prozesstage müssen angesetzt werden. «Das ist für den Ermittlungserfolg ein Segen, aber für die zeitliche Belastung der Hauptverhandlungen ein Fluch», sagt der Strafrechtsexperte des Deutschen Richterbunds (DRB), Stefan Caspari.

Eine Ursache für derartige Verzögerungen sieht der DRB in dem nach seiner Einschätzung eklatanten Personalmangel bei Richtern und Staatsanwälten. «Die schlichte Arbeitsüberlastung ermöglicht es manchmal nicht, Fälle fristgerecht abzuschließen», sagt Caspari. Schon vor Jahren warnte der DRB, dass 4000 fehlende Stellen zu Engpässen bei den Gerichten führen können. «Es haben sicherlich Nachbesserungen stattgefunden, was die Personalausstattung angeht. Jetzt sind es aber noch immer 2000 Stellen.»

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Für Anordnung von U-Haft gelten zeitliche Beschränkungen, Betroffene gelten juristisch bis zu ihrer Verurteilung als unschuldig. Wenn mutmaßliche Straftäter vor ihrem Prozess länger hinter Gittern bleiben sollen, muss das ein Richter in regelmäßigen Abständen anordnen und neu begründen. Häufig fehle wegen der Überlastung dazu häufig die Zeit, so dass Fristen verstreichen und in Einzelfällen eine Freilassung nötig werde, sagt Caspari.

Von 2003 bis 2014 sind allein in Baden-Württemberg nach Angaben des Justizministeriums aus diesem Grund insgesamt 82 Menschen aus der U-Haft entlassen worden. Im vergangenen Jahr betraf das drei Gefangene in U-Haft.

In Nordrhein-Westfalen wurden nach Angaben des Justizministeriums im vergangenen Jahr vier Fälle bekannt, in diesem Jahr waren es bislang drei. Jeweils ein mutmaßlicher Betrüger, Steuerhinterzieher und Stalker kamen dadurch in den vergangenen Monaten auf freien Fuß.

15 Haft- oder Unterbringungsbefehle wurden in Bayern zwischen Januar 2014 und März dieses Jahres wegen Verletzung des sogenannten Beschleunigungsgebots aufgehoben. In Niedersachsen nützte zwei Betroffenen die Regelung wenig: In einem Fall gab es noch einen weiteren Haftbefehl, in einem anderen saß ein Mann zusätzlich im Maßregelvollzug. Beide sind mittlerweile rechtskräftig verurteilt.

In Berlin wurden 2014 drei Haftbefehle aufgehoben. Zuletzt hatte das Kammergericht im Frühjahr dieses Jahres verfügt, dass zwei wegen Drogenhandels angeklagte Männer aus der U-Haft entlassen wurden, weil sich ihr Prozess über Monate schleppte und zusätzlich noch einer der Richter krank wurde. Noch im Juli hatte die Justizverwaltung in einer parlamentarischen Antwort bekräftigt, dass die Verkürzung der Verfahren an Berliner Gerichten zentrales politisches Anliegen des rot-schwarzen Senats sei. Im Entwurf für den Haushalt seien deshalb für 2016 81 zusätzliche Stellen in allen Gerichten vorgesehen, für 2017 weitere 65.

In den anderen Bundesländern wurden in den vergangenen zwei Jahren nur wenige Fälle registriert. Die Arbeitsbelastung ist dennoch hoch: Im Bundesdurchschnitt dauert nach den aktuellsten Zahlen des Statistischen Bundesamtes ein Strafprozess bei einem Landgericht 6,6 Monate.

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