Juso-Chef Kevin Kühnert über Hans-Georg Maaßen und die CSU

München - AZ-Interview mit Kevin Kühnert. Der Berliner (29) ist seit November 2017 Bundesvorsitzender der Jungsozialisten in der SPD, kurz "Jusos".
AZ: Herr Kühnert, auf Wunsch von Andrea Nahles wird die Causa Maaßen neu verhandelt. Was sagen Sie dazu?
KEVIN KÜHNERT: Das ist ein Akt der Stärke! Man bricht sich auch in der Politik keinen Zacken aus der Krone, wenn man zugibt, dass man mit einer Einschätzung daneben gelegen hat. Im Gegenteil: Das erwarten die Leute. Ich finde es völlig vertretbar, nach der Dynamik der letzten Tage zu dem Schluss zu kommen: Wir haben das unterschätzt und möchten gerne nochmal neu darüber sprechen. Auch das ist verantwortliches politisches Handeln.
Wie haben Sie die Stimmung innerhalb der SPD in den letzten Tagen wahrgenommen?
So, dass nicht nur an der Basis, sondern ganz weit in den Parteivorstand und die Bundestagsfraktion hinein, Entsetzen darüber herrscht, was beim Koalitionsgipfel vereinbart worden ist und dass die klare Erwartungshaltung besteht, dass man diesen schmutzigen Deal aufkündigt. Es geht ja nicht nur um einen Konflikt in der Koalition, sondern um einen gesellschaftlichen: Die Leute verstehen nicht, warum jemand, der in seinem Job Bockmist gebaut hat, dafür noch belohnt und hoch-gelobt wird. Das gibt es sonst nirgendwo und es mehrt die Vorurteile, dass in der Politik eigene Spielregeln gelten würden. Es geht jetzt um die Glaubwürdigkeit von Politik.
"Frau Merkel ist mal wieder völlig abgetaucht"
Wer hatte es ursprünglich verbockt? Frau Merkel, Frau Nahles, Herr Seehofer?
Naja, auf dieses Ergebnis bestanden hat Herr Seehofer. Er hielt das anscheinend für moralisch vertretbar. Frau Merkel hat überhaupt keine Position erkennen lassen. Sie ist mal wieder völlig abgetaucht und scheint dem Amtserhalt gerade alles unterzuordnen. Und meine Parteispitze hat unterschätzt, wie viel Unmut es über die Entscheidung gibt.
Andrea Nahles sagt, sie wollte und will die Große Koalition nicht an der Personalie Maaßen scheitern lassen.
Ich kann das auch verstehen, wenn man bedenkt, wie viel Energie in das Zustandekommen gesteckt wurde. Trotzdem muss man ein sehr feines Gespür dafür haben, wo Schmerzgrenzen überschritten sind. Der gesellschaftliche Friede ist vergangene Woche auf eine harte Belastungsprobe gestellt worden.
Nun sitzt Andrea Nahles allerdings wieder Horst Seehofer gegenüber.
Das stimmt. Aber Herr Seehofer dürfte in der vergangenen Woche ebenfalls gemerkt haben, auf wie viel Zustimmung sein Ansinnen trifft, Herrn Maaßen in seinem Ministerium fürstlich zu versorgen. Dafür gibt es gesellschaftlich keinen Rückhalt.
Trotzdem hat er bereits gesagt, dass er an Maaßen festhalten will. Damit liegt es jetzt an der Bundeskanzlerin. Wenn Herr Seehofer sich da auf bockig stellt und seine persönliche Agenda weiterverfolgt, wird Bundeskanzlerin Angela Merkel auch die Frage beantworten müssen, ob Herr Seehofer in diesem Kabinett noch richtig aufgehoben ist. Bei uns beantworten diese Frage viele mit Nein.
"Es geht um das Vertrauen in die Demokratie und politische Institutionen"
Wenn die nächste Runde keine Einigkeit bringt: Plädieren Sie dann für das Ende der GroKo – und Neuwahlen?
Mir geht es nicht darum, die NoGroKo-Kampagne mit anderen Mitteln fortzusetzen. Ich glaube nur, dass es eine Bagatellisierung ist, zu sagen: Naja, hier geht’s um eine komische Personalfrage und da gibt’s ein bisschen Streit in der Sache. Hier geht es um Vertrauen in die Demokratie und in politische Institutionen. Das ist keine Kleinigkeit. Wenn man da nicht zueinander kommt, hat das eine Dimension, mit der man begründen kann, warum eine Zusammenarbeit endet.
Wie sehr hat Sie geschmerzt, dass ausgerechnet Gunther Adler – ein SPD-Staatssekretär, zudem ein Experte für das Thema Bauen – im Innenministerium Platz für Hans-Georg Maaßen machen sollte?
Das offenbart ja nochmal, dass fachliche Erwägungen gar keine Rolle in dieser Angelegenheit spielen. Es geht nur um ein Revanche-Foul an der SPD. Es gibt ja auch den schön-lapidaren Satz von Herrn Seehofer: "Adler ist jetzt halt das Opfer". Das ist Kriegsrhetorik – in Zeiten, in denen wir über explodierende Mieten reden. Was für ein fatales Signal nach außen! Und alles nur, um Platz für Herrn Maaßen zu schaffen. Das ist "House of Cards" der höchsten Stufe.
"Maaßen muss in den einstweiligen Ruhestand"
Wohin sollte Hans-Georg Maaßen denn Ihrer Meinung nach versetzt werden?
In den einstweiligen Ruhestand. Da er anscheinend nicht genug Anstand hat, um zurückzutreten, bleibt nur diese Möglichkeit. Das Beamtenrecht gibt eine Entlassung nicht her.
Dann bekäme er viel Geld fürs Nichtstun.
Ja – und zuletzt sollte er noch mehr Geld dafür bekommen, dass er politisch versorgt wird.
Sonntagabend hieß es - noch unbestätigt -er solle trotz allem einen Posten im Innenministerium bekommen, aber ohne Gehaltserhöhung.
Eine Lösung, bei der Maaßen in einem öffentlichen Amt verbleibt, ist keine Lösung.
Sollte diese Koalitionskrise irgendwann überwunden sein: Wann erwarten Sie die nächste Auseinandersetzung?
Die Erkenntnis aus dem ersten halben Jahr der Koalition ist leider, dass solche Konflikte nicht die Ausnahme sind, sondern eher die Regel. Das hat ganz viel mit der CSU und Horst Seehofer zu tun. Ich befürchte nur, das wird nach der bayerischen Landtagswahl nicht vorbei sein. Ich halte es für eine Fehleinschätzung, dass das alles Wahltaktik ist. Da ist auch eine erhebliche Portion Überzeugung mit drin. Selbst wenn Horst Seehofer nach der Bayern-Wahl als Innenminister weg sein sollte: Es wird nichts Besseres nachkommen. Es macht sich doch nicht ernsthaft jemand die Illusion, dass die Zusammenarbeit mit Alexander Dobrindt, Andi Scheuer oder wem auch immer, leichter wird. Deshalb befürchte ich: Wirklich ruhige Zeiten werden wir so schnell nicht erleben.
Sie haben unlängst gesagt, jeder Tag mit dieser Koalition sei ein verlorener Tag.
Das ist in den Augen vieler Menschen die bisherige Bilanz dieser Regierung. Das heißt nicht, dass keine sinnvollen Sachen auf den Weg gebracht wurden. Aber das müssen die Leute auch mitkriegen. Auf dieser Ebene versagt die Große Koalition bisher, weil wir gar nicht dazu kommen, öffentliche Debatten über Alltagsfragen anzuleiern. Es ploppen dann mit Verlässlichkeit irgendwelche Asyl- und Migrationsthemen oder andere Koalitionsstreitigkeiten auf, die die öffentliche Debatte völlig dominieren und dafür sorgen, dass die gesellschaftliche Spaltung weiter voranschreiten. Das ist keine gute Entwicklung.

Streit nutzt nie, egal ob in der Koalition oder innerparteilich – das zeigen auch die aktuellen Umfragen. Union und SPD sind im Bund auf historische Tiefstände gesunken.
Naja, unser Weg in diese Koalition war von starken Meinungsverschiedenheiten geprägt. Daran ist zunächst nichts Schlimmes. Bei aller Angespanntheit habe ich die Phase zu Anfang des Jahres eigentlich als Frischzellenkur für die SPD erlebt, weil wir lange nicht mehr so demokratisch und offen gestritten haben. Mein Lieblingsbeispiel: Phoenix hat noch nie so hohe Einschaltquoten bei einer Parteitagübertragung gehabt, wie bei unserem Bonner Parteitag. Das heißt: Leute finden Streit nicht etwa abschreckend, wie uns das jahrelang immer gesagt wurde, sondern spannend - wenn er um die Sache geht. Eher abschreckend finden sie Streit, der sich um Personen dreht, um persönliche Eitelkeiten, Rachegelüste oder Ähnliches.
Wird es Bayerns SPD-Chefin Natascha Kohnen im Landtagswahlkampf nutzen, dass Andrea Nahles – auch durch ihr Zutun – eingelenkt hat?
Ich glaube nicht, dass Natascha Kohnen das aus einer taktischen Erwägung heraus gemacht hat. Der ganze Wahlkampf hier in Bayern und die Auftritte von Natascha Kohnen sind geprägt von Haltung. Sie verkörpert einen anderen politischen Stil, den ich sehr erfrischend finde – vor allem in Zeiten, in denen Testosteron-Männer das Politikbild prägen. Sie hat aus ihrem Herzen keine Mördergrube gemacht und klar gesagt, wie sie diese Maaßen-Entwicklung bewertet. In dem Wissen, dass in der Parteispitze und bei der Vorsitzenden vielleicht keine Begeisterung über diese Aussagen aufkommt. Genau das wird von der Politik erwartet: Dass man deutlich, ohne taktische Erwägungen, seinen Standpunkt äußert.
Kühnert: "Ich war schon im Grünwalder Stadion"
Von Ihnen ist bekannt, dass Sie überall in Deutschland Fußballstadien besuchen. Waren Sie schon im Grünwalder?
Schon vor Jahren! Die relevanten Stadien in München habe ich durch.
Giesing, wo das Stadion liegt, war lange Zeit ein Arbeiterviertel. Wie wollen Sie die Menschen, die dort wohnen, wieder für die SPD begeistern?
Für mich ist die Erkenntnis der letzten Jahre, dass sich die Situation in unserer Gesellschaft nicht mit Statistiken beschreiben lässt. Der Wahlkampf von Bundeskanzlerin Angela Merkel im letzten Jahr bestand quasi aus dem einen Satz: Deutschland geht es gut. Sie macht Politik, die da lautet: Wenn die Statistik gut ist, der Durchschnittslohn steigt, die Mieten im Durchschnitt noch bezahlbar sind, wenn im Durchschnitt die wirtschaftliche Entwicklung stimmt, dann geht es dem Land gut.
Was sollte die SPD dem entgegensetzen?
Sie muss sagen: Ganz viele Leute profitieren davon aber nicht. 40 Prozent haben keine Lohnsteigerung oder sogar Lohnverluste in den letzten 20 Jahren gehabt. Ganz viele Menschen sind akut von Verdrängung auf dem Wohnungsmarkt bedroht. Ganz viele Leute haben kleine Einkommen, damit später kleine Renten und können keine private Altersvorsorge machen. Denen nutzen diese ganzen salbungsvollen Worte überhaupt gar nichts. Was die SPD viel deutlicher ansprechen muss, ist: Ja, wir sind ein reiches Land, aber das nutzt uns alles nichts, wenn wir in dieser Gesellschaft nicht zu einer gerechten Verteilung kommen.
"Die Superreichen müssen etwas zurück geben"
Wie wollen Sie diese gerechte Verteilung erreichen?
Ich lasse gerne mit mir darüber reden, welche die richtige Steuer dafür ist und wo wirklich die Superreichen sind, die mehr dazu beitragen können. Aber ich lasse nicht mehr mit mir darüber diskutieren, ob wir das machen. Da hat sich die SPD in den letzten Jahren weggeduckt. Und die Leute fragen sich zu Recht: Wie wollt Ihr das alles finanzieren? Ihr wollt Bildung gebührenfrei machen, Wohnen bezahlbarer; ihr wollt die Renten absichern und den Mindestlohn steigern. Aber ihr seid nicht bereit, jemandem gewisse Privilegien wegzunehmen. Das passt nicht.
Ihr Lösungsvorschlag lautet?
Wir müssen bereit sein, ein paar Leuten wehzutun. Leuten mit exorbitanten Vermögen, die von ihrem Reichtun leben und leistungslos durch diese Gesellschaft durchkommen. Noch ein Lieblingsbeispiel: Als die Quandts bei BMW vor ein paar Jahren ihre Anteile überschrieben haben – das waren 10 Milliarden Euro –, haben sie einmalig 800 Millionen Erbschaftssteuer bezahlt. Im gleichen Jahr haben sie eine Dividende von 815 Millionen eingestrichen. In einem Jahr haben sie schon wieder ein Plus rausgeholt. Das ist kein angemessener Anteil. Das haben die ja nicht alles selbst erwirtschaftet. Die profitieren davon, dass es hier einen starken Standort gibt, gut ausgebildete Fachkräfte, eine ordentliche Infrastruktur. Dieser Reichtum ist eine gesellschaftliche Leistung – und deshalb gehört davon wieder etwas zurückgegeben.
Ein Farben-Spiel zum Schluss: Würden Sie den bayerischen Genossen zu einer schwarz-roten Koalition raten?
Politikregel Nummer eins: Fisch nicht in anderen Landesverbänden rum! Aber ich glaube, beim Gedanken an eine Koalition mit der CSU kriegen hier alle Pickel.
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