Junge Israelis und der Krieg: "Wir müssen feiern, sonst siegt die Gewalt."

Im Gazastreifen fallen stündlich die Bomben, in Israel tanzt das Partyvolk ins Jahr 2009. Wie Israels Jugend mit den Raketen der Hamas und dem Krieg ganz in der Nähe lebt.
von  Abendzeitung
Kerzen für den Frieden
Kerzen für den Frieden © abendzeitung

Im Gazastreifen fallen stündlich die Bomben, in Israel tanzt das Partyvolk ins Jahr 2009. Wie Israels Jugend mit den Raketen der Hamas und dem Krieg ganz in der Nähe lebt.

TEL AVIV Seit Freitag ist Israel im Krieg, aber Itai, 19, aus Eilat am Roten Meer hat davon nichts gehört. Morgens schrubbt er seine Bonbon-Bude an der Promenade, sein Chef Benny zählt die Einnahmen der Nacht. „Gaza?“ fragt Itai, - „was ist denn los in Gaza?“

Benny klärt auf: „Die Armee wirft Bomben“. Wie die meisten Israelis unterstützt Benny den Angriff: „Wir dürfen jetzt auf keinen Fall aufhören. Die Hamas-Regierung muss gestürzt werden und alle Mitglieder entwaffnet. Wer sein Gewehr nicht nieder legt, dem schlagen wir es aus der Hand.“

Gaza, das ist hier weit weg, wie eine andere Welt auf der anderen Seite der Negev-Wüste. Die Urlaubs-Stadt Eilat sieht aus wie eine Mischung aus Mallorca, Las Vegas und dem Oktoberfest. Wer hierher kommt, will nicht über Krieg, Tod und Terror nachdenken. Junge Israelis räkeln sich in den Polstern am Strand, rauchen Wasserpfeife, trinken Cocktails, schauen nach Jordanien rüber und träumen von Tausend und einer Nacht ohne Krieg.

"Es war wie ein Schock"

Angst vor Attentaten? Hier doch nicht. „Gott beschützt unser Land“, sagt Avda, 19. „Wir werden auch diesen Krieg überstehen.“ Ob sie den Angriff richtig findet? „Es musste etwas passieren. Unsere Regierung hat versucht, mit der Hamas Frieden zu schließen – dafür haben wir Kassam-Raketen bekommen.“

Jetzt werfen die Kampfflugzeuge Bomben auf den Gaza-Streifen. 396 Menschen sind gestorben, mindestens 1700 verletzt. Die Hamas schießt weiter ihre Raketen nach Israel. Sie fliegen nicht nur die knapp zwei Kilometer bis in die Stadt Sderot, sondern auf einmal auch 30 Kilometer bis nach Ashdod, kurz vor Tel Aviv. Sogar das 40 Kilometer entfernte Beer Sheva ist getroffen worden. Ein Drittel Israels liegt jetzt in der Reichweite der Hamas.

„Es war wie ein Schock, als ich die ersten Bilder aus Gaza sah“, sagt Adi Kaslasy, 21, Studentin an der Hebräischen Universität Jerusalem. „Meine beste Freundin ist Kommandeurin. Sie ist am Gaza-Streifen. Meine Familie wohnt in Sderot. Ich habe Angst um sie. Ich denke aber auch: Endlich tut die Regierung etwas.“

Yuval hörte Zischen, Donner, ganz nah.

Jeden Tag dröhnt der Raketen-Alarm durch Adis Heimatstadt: „Tsevah adom, tsevah adom“, „Roter Alarm“. 15 Sekunden haben die Menschen, um sich in Sicherheit zu bringen. Wer’s nicht schafft, riskiert sein Leben.

Am Montag schlug eine Kassam im Haus von Familie Yasakov ein. Sohn Yuval, 13, wartete gerade darauf, dass seine Mutter ihm die Suppe hinstellte. Schule war heute nicht, denn seit Krieg ist, bleibt die Schule zu.

Yuval hörte Zischen, Donner, ganz nah, dann einen Knall, Geklirre, die Erde wackelte. Die zwei Autos vor dem Haus waren nur noch Schrott, die Straße mit Scherben übersäht, die Häuserwände durchlöchert vom Schrapnell im Sprengkopf. Im Bürgersteig ein Loch, einen halben Meter tief, mit dem Durchmesser eines Autoreifens. Gestorben ist durch die Kassam niemand.

Der Krieg dehnt sich langsam auf das ganze Land aus

„Wir können unseren Kindern nicht erklären, warum sie jeden Tag um ihr Leben laufen müssen“, sagt Sderots Bürgermeister David Bouskila. „Seit acht Jahren warten wir, dass es aufhört. Kein Land der Erde würde akzeptieren, was hier passiert ist.“

Auf den Feldern um Sderot fährt die Armee jetzt ihre Panzer auf. Verteidigungsminister Ehud Barak sagt im Fernsehen: „Wenn es sein muss, gehen wir auch mit Bodentruppen in den Gaza-Streifen.“ Und: „Uns um einen Waffenstillstand mit der Hamas zu bitten, ist so, als wollte man die USA bitten, eine Waffenruhe mit al-Qaida zu schließen.“ Der Krieg gegen die Hamas kann eine, zwei, drei Wochen dauern, oder einen Monat. Nur dass er bald vorbei ist, glaubt in Israel fast niemand. In Sderot wünscht sich das auch keiner, denn Waffenstillstand heißt hier: Kassam-Alarm.

Der Krieg dehnt sich langsam auf das ganze Land aus. Als die ersten Bilder aus Gaza zu sehen waren, schlossen die arabischen Händler in der Altstadt von Jerusalem aus Solidarität ihre Geschäfte. Seitdem streikt die Hälfte der Stadt. In Ramallah im Westjordanland liefern sich palästinensische Jugendliche Straßenschlachten mit der Polizei. Die Hamas hat gedroht, Selbstmordattentäter nach Israel zu schicken.

"Seit es Israel gibt, herrscht Krieg. Wir sind es wirklich leid."

Tel Aviv, 0:00 Uhr, Silvester-Abend. Im Ausgeh-Viertel Florentin tanzt das Partyvolk ins Jahr 2009. Das jüdische Jahr begann schon im Oktober und in Israel sind weder Silvester noch Neujahr ein Feiertag. Die Studenten, Musiker, Künstler, Berater, Werber, Grafiker, die jungen Bewohner Tel Avivs eben, die interessiert Religion und Tradition aber nicht. Wenn es einen Grund für eine gute Party gibt, dann feiern sie. Morgen könnte es zu spät sein.

Durch das alte Lagerhaus mit den Holzdielen brummen schwere Beats, dazu arabischer Gesang. Um Mitternacht tritt eine Band mit Tuba, Trompete und Pauke auf und bläst der Party einen feurigen Balkan-Marsch. In der Luft liegt der Geruch von Alkohol, Marihuana und Schweiß. Jeder tanzt mit jedem, hundert junge Menschen im Silvester-Rausch schmiegen ihre Hüften aneinander, werfen die Arme in die Luft, schauen einander gierig an. 30 Autominuten Richtung Süden brennt der Gaza-Streifen.

Natürlich könnte diese Party auch ein Ziel für ein Attentat sein. Nur ein paar hundert Meter entfernt sprengte sich 2001 ein Palästinenser vor einer Disko am Strand in die Luft. 21 Menschen starben, 120 wurden verletzt.

„Das ist pure Ignoranz“, sagt Ran, 28. „Aber weißt du, wie viele Kriege unser Land schon erlebt hat? Seit es Israel gibt, herrscht Krieg. Wir sind es wirklich leid. Wir müssen feiern, sonst hat die Gewalt über unser Leben gesiegt.“

Dann knallt es kurz

Ran hat seinen Militärdienst bei der Artillerie gemacht. Er ist jetzt Reservist, jederzeit könnte der Befehl von der Armee kommen, sich zum Dienst zu melden. Israel hat 6500 Reservisten einberufen und zieht um den Gaza-Streifen seine Bodentruppen zusammen. Ob die Panzer Richtung Gaza rollen werden, ist noch unsicher. Ran fürchtet sich vor dem Tag: „Es wäre für uns und die Palästinenser sehr, sehr schmerzhaft. Ich hoffe, dass es nicht passiert. Aber ich glaube nicht daran.“

Dann knallt es kurz, eine Lautsprecher-Box ist durchgebrannt. Drei, vier Leute haben sich verschreckt umgesehen, der Rest der Party hat es nicht einmal gemerkt. Es raucht ein wenig. Aber die Tuba spielt schon wieder.

Markus Flohr

Autor Markus Flohr (28) studiert in Jerusalem Geschichte und arbeitet als freier Journalist in Israel.

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