Joachim Herrmann im Interview: Der Innenminister über die Sicherheitslage
München - Die AZ hat mit Joachim Herrmann gesprochen. Der 61-jährige gebürtige Münchner, der in Erlangen aufgewachsen ist und dort heute auch lebt, ist seit 2007 bayerischer Innenminister und Spitzenkandidat der CSU für die Bundestagswahl.
AZ: Herr Herrmann, haben Sie bereits eine Wohnung in Berlin?
Joachim Herrmann: Nein, noch nicht. Mir wurde aber versichert, dass die Wohnungssuche dort nicht ganz so schlimm ist wie in München.
Was stellen Sie sich denn vor?
Ich hab’ mir jetzt noch kein Viertel ausgesucht, sinnvoll wäre natürlich eine Wohnung in der Nähe des Bundestags.
Was werden Sie an Bayern vermissen?
Ich bin gebürtiger Münchner und lebe seit vielen Jahren in Franken. In Bayern fühle ich mich zuhause. Und hier bleibt auch mein Lebensmittelpunkt. Ich habe ja nicht vor, auszuwandern.
Am Anstich-Samstag auf der Wiesn hat Horst Seehofer erklärt, dass der CSU-Chef sich künftig auf dem politischen Parkett in Berlin bewegen soll. Hat er damit Sie gemeint?
Wenn Sie das von ihm gehört haben, müssen Sie ihn das fragen.
Wäre der Parteivorsitz eine Option für Sie?
Ich spekuliere nicht über Posten. Jetzt müssen wir erstmal die Wahl gewinnen.
Allerdings wird schon von allen Dächern gepfiffen, dass Sie Bundesinnenminister werden sollen.
An derartigen Spekulationen beteilige ich mich nicht.
Angenommen, Sie würden den Posten bekommen. Welche Themen würden Sie als erstes angehen?
Wir wollen uns um mehr Sicherheit in ganz Deutschland kümmern. Hundertprozentige Sicherheit kann es zwar nicht geben, aber man sieht im Länder-Vergleich, dass man durch konsequentes Handeln, durch eine starke Polizei und eine gute Ausstattung der Sicherheitskräfte mehr Sicherheit erreichen kann. Hier ist Bayern vorbildlich.
Neben einer erneuten Großen Koalition bleiben der Union nur zwei Optionen: Schwarz-Gelb oder ein Jamaika-Bündnis. Beim Gedanken daran, künftig mit den Grünen zusammenzuarbeiten, müssten sich bei Ihnen ja die Zehennägel aufstellen.
Wir machen keinen Hehl daraus, dass Schwarz-Gelb zweifellos am einfachsten wäre. Ich glaube, mit Herrn Lindner kann man schon vernünftig reden. Mit den Grünen bei den wichtigen Themen Sicherheit und Zuwanderung auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen, ist sicherlich nicht einfach. Horst Seehofer hat zu recht darauf hingewiesen, dass man etwa mit Winfried Kretschmann viele Dinge besprechen könnte. Allerdings gibt es bei den Grünen auch Leute wie Anton Hofreiter. Wie ich mich mit ihm über Sicherheits- und Flüchtlingspolitik einigen sollte, ist mir nicht recht ersichtlich.
Eine schwierige Debatte dürfte Ihnen auch mit der CDU um die Obergrenze bevorstehen.
Die Zahl der Flüchtlinge wird dieses Jahr aller Wahrscheinlichkeit nach unter 200 000 bleiben. Das Ziel, das Horst Seehofer formuliert hat, wird also schon einmal erreicht. Das allein reicht uns aber nicht, wir wollen eine verlässliche Vereinbarung, dass die Lage auch dauerhaft so bleibt. Und Bundeskanzlerin Angela Merkel hat mir zugesichert, dass sich die Situation von 2015 nicht wiederholen darf. Sie garantiert dafür. Ich bin zuversichtlich, dass wir uns in dieser Frage einigen werden.
Stichwort Sicherheitspolitik: Sie wollen im Bund 15.000 neue Polizisten einstellen. Doch allein in Bayern sind derzeit über 2.500 Vollzeitstellen unbesetzt. Wo wollen Sie die Bewerber hernehmen?
Alle Stellen bei der Bayerischen Polizei sind besetzt. Sobald ein Polizist in den Ruhestand geht, stellen wir zum nächsten Einstellungstermin einen Nachwuchsbeamten ein. Derzeit haben wir etwa sieben Bewerbungen auf eine Stelle. Die jungen Leute gehen also weiterhin gerne zur Bayerischen Polizei. In Berlin und andernorts ist die Situation hingegen zum Teil ein wenig anders.
Warum?
Ein Grund ist sicherlich, weil in vielen anderen Ländern die Polizisten schlechter bezahlt werden als bei uns in Bayern. Es liegt aber auch am Image der Polizei. Es kommt nicht von ungefähr, dass die Bayerische Polizei in der Bevölkerung und auch bei den jungen Leuten ein hohes Ansehen genießt.
Anderswo nicht?
Es gibt Länder, in denen die politische Führung nicht klar hinter der Polizei steht, in denen sie nicht so gut ausgestattet ist und in denen die Beamten schlechter bezahlt werden.
"Wer Frauen vergewaltigt, hat bei uns nichts zu suchen"
Sie preisen Bayern als sicherstes Bundesland an. Allerdings haben Sie erst kürzlich deutliche Zuwächse an Vergewaltigungen und sexuellen Nötigungen in Bayern in diesem Jahr vermelden müssen. Hätte ein SPD-geführtes Land solche Zahlen verzeichnet, hätte die Kritik der CSU wohl nicht lange auf sich gewartet.
Im vergangenen Jahr waren wir das Land mit der niedrigsten Quote an Sexual-Straftaten. Jetzt mussten wir feststellen, dass wir im ersten Halbjahr 2017 eine merkliche Zunahme hatten. Das ist zum einen darauf zurückzuführen, dass der Gesetzgeber das Gesetz geändert hat. Das heißt, dass mehr Delikte härter bestraft werden.
Bei den 48 Prozent mehr Vergewaltigungen sind auch sexuelle Nötigungen inbegriffen? Darüber gab es ja zuletzt Verwirrung ...
Darunter fallen unter anderem auch sexuelle Nötigungen im besonders schweren Fall. Es ist unbestreitbar, dass auch die Zahl der tatverdächtigen Zuwanderer, also vor allem Flüchtlinge und Asylbewerber, deutlich zugenommen hat. Wobei man gleichzeitig in den Blick nehmen muss, dass auch unter den Opfern eine ganze Reihe von Zuwanderern ist. Das macht das Ganze natürlich nicht weniger schlimm, muss in diesem Kontext aber mit betrachtet werden. Wir dramatisieren nichts, wir beschönigen aber auch nichts. Bei den Sexualdelikten zeigen erste Auswertungen für das erste Halbjahr 2017 teilweise erhebliche Anstiege und deshalb müssen wir uns offensiv damit auseinandersetzen. Polizei und Justiz müssen hier einen klaren Schwerpunkt legen.
Wie zum Beispiel?
Was die Zuwanderer betrifft: Ein Vergewaltiger, etwa aus Afghanistan, muss in seine Heimat zurückgeschickt werden. Wer Frauen vergewaltigt, der hat in unserem Land nichts zu suchen.
In Bayern geht zwar die Zahl der Wohnungseinbrüche zurück. Im ersten Halbjahr 2017 waren es 14,1 Prozent weniger als im Vorjahreszeitraum. Jedoch werden weiterhin nur rund ein Fünftel der Täter geschnappt. Warum?
Mindestens 40 Prozent der Einbruchsstraftaten bleiben im Versuchsstadium stecken. Das heißt, ein Täter hat es nicht geschafft, Türen oder Fenster aufzubrechen. Gerade in diesen Fällen ist es besonders schwierig, einen Täter zu ermitteln. Aber klar ist: Die Aufklärungsquote ist noch nicht befriedigend, übrigens bundesweit.
Joachim Herrmann (m.) im Gespräch mit Chefredakteur Michael Schilling (l.), Nachrichtenchefin Natalie Kettinger und Politikredakteur Tobias Wolf (r.). Foto: lma
Haben Sie Ihr eigenes Zuhause gegen Einbrecher abgesichert?
Selbstverständlich haben wir da entsprechend vorgesorgt. Ich kann nur jedem dazu raten, in den Schutz der eigenen vier Wände zu investieren.
Welche Maßnahmen haben Sie konkret ergriffen?
Wir haben eine ordentliche Sicherung an der Haustür, an den Fenstern und an der Terrassentür. Auch eine Einbruchsmeldeanlage haben wir installiert.
Sorgen Sie sich manchmal um Ihre eigene Sicherheit?
Nein, ich bin jemand, der da sehr gelassen ist.
Mal ehrlich: Haben Sie nie ein mulmiges Gefühl bei größeren Menschenansammlungen, etwa wie jetzt auf der Wiesn?
Ich bin nicht der Typ, der in ein Festzelt hineingeht und sich zuerst ängstlich umschaut.
Sie werden in der Öffentlichkeit fast ausschließlich als "Sicherheitsminister" wahrgenommen, dabei sind Sie als Bauminister auch für den Wohnungsbau zuständig. In München wird gerade das Paulaner-Gelände überplant, es entstehen Hunderte Wohnungen. Was glauben Sie, wie viele Polizisten können sich eine davon leisten?
Darüber lässt sich nur spekulieren.
Was glauben Sie, wie hoch der Quadratmeterpreis liegt?
Das weiß ich nicht.
12.000 Euro. Welcher Polizist greift denn da zu?
Da wird ein normaler bayerischer Polizist nicht zugreifen können.
Und was sagen Sie als Bauminister dazu?
Deswegen habe ich mit dem Finanzminister vereinbart, dass wir preisgünstige Staatsbediensteten-Wohnungen errichten, beispielsweise auf dem McGraw-Gelände.
Der Verband der bayerischen Wohnungsunternehmen kritisiert, dass der Freistaat die Gelder für den Sozialwohnungsbau zusammengestrichen hat – von 158 Millionen Euro auf 87 Millionen Euro.
In der Tat haben wir in einem Teilbereich 70 Millionen Euro weniger ausgewiesen, dafür aber in anderen Bereichen um 50 Millionen Euro erhöht. Entscheidend ist, dass wir 2017 mit 419,5 Millionen Euro in der Summe mehr Landesmittel für die soziale Wohnraumförderung einsetzen. Und diese Mittel werden wir im nächsten Jahr noch mal deutlich aufstocken. Eines ist klar: Wir brauchen mehr bezahlbaren Wohnraum und es muss in Bayern mehr gebaut werden. Hier hat sich die SPD in Dingen wie der Mietpreisbremse verrannt. Wenn ich mehr Wohnungen brauche, löse ich das Problem nicht allein mit der Bewirtschaftung des vorhandenen Wohnraums, sondern ich muss auch mehr bauen.
"Nicht jeder muss in die Ballungsräume ziehen"
Aber Sie sind doch der Bauminister?
Ja, die Zahl neugebauter Wohnungen ist in den letzten Jahren in Bayern deutlich gestiegen, aber wir brauchen vor allem Bauland der Kommunen. Da muss deutlich mehr geschaffen werden. Wir müssen auch Arbeitsplätze dorthin bringen, wo die Arbeiter herkommen. Nicht jeder muss in die Ballungsräume ziehen.
Die Grünen wollen das Zubetonieren mit einem Volksbegehren gegen den Flächenfraß verhindern. Wie stehen Sie als Bauminister dazu?
Ich kann nicht auf der einen Seite sagen, wir wollen, dass mehr Leute zuziehen können – auch aus dem Ausland – und dann hinterher erklären, die dürfen dann keine Fläche mehr verbrauchen. Wir können ja nicht die ganze Münchner Innenstadt mit Hochhäusern zupflastern.
Was planen Sie dann für München und seinen Speckgürtel?
Das müssen wir mit den Kommunen zusammen entwickeln. Für die Bauleitplanung sind allein sie zuständig. Ich kann keine Gemeinde zwingen, neues Bauland auszuweisen.
Wie wollen Sie dann die Wohnsituation in München verbessern?
Wir müssen das S-Bahn-Netz deutlich erweitern. Deshalb ist es wichtig, dass der zweite Tunnel gebaut wird. Das wird den Menschen aus dem Umland das Pendeln erleichtern.