Jetzt wird's eng für Wulff: Staatsanwalt will ermitteln

Ermittler aus Hannover beantragen die Aufhebung der Immunität des Bundespräsidenten – ein einmaliger Vorgang, der sein Aus bedeuten könnte
von  A. Zoch/A. Böhm

Ermittler aus Hannover beantragen die Aufhebung der Immunität des Bundespräsidenten – ein einmaliger Vorgang, der sein Aus bedeuten könnte

Berlin – Zuletzt hat er wohl gedacht, er hätte es fast ausgestanden. Gelöst und entspannt schlenderte Christian Wulff mit seiner Frau Bettina durch das italienische Bari. Plauderte mit einer Feinkosthändlerin, besichtigte die Kirche San Nicola, besuchte ein Bosch-Werk. Auf dem Rückflug von seinem Staatsbesuch in Italien fachsimpelte er mit Journalisten über die Schuldenkrise und Griechenland. Seine unzähligen Skandale – sie schienen im italienischen Luftraum ganz weit weg.

Doch seine Vergangenheit holt ihn ein. Gestern Abend platzte die Bombe: Die Staatsanwaltschaft Hannover beantragt die Aufhebung der Immunität des Bundespräsidenten (s. Infokasten). Dies ist ein in der Geschichte der Bundesrepublik einmaliger Vorgang. Noch nie hat eine Strafverfolgungsbehörde Ermittlungen gegen das Staatsoberhaupt eingeleitet. Es geht um den Verdacht der Vorteilsannahme und der Vorteilsgewährung.

Als Bundespräsident ist Wulff vor Strafverfolgung geschützt. Der Bundestag wird aber mit großer Wahrscheinlichkeit seine Immunität aufheben. Doch was dann? Kann sich ein Bundespräsident, gegen den die Staatsanwaltschaft ermittelt, noch im Amt halten? Für Wulff wird es immer enger. Damit hat die Affäre eine ganz neue Qualität.

Schon seit längerem haben Rechtsexperten das zögerliche Vorgehen der Staatsanwaltschaft kritisiert. Bei jedem kleinen Beamten wäre längst ein Verfahren angestrebt worden, war die einhellige Meinung. Doch vor dem Bundespräsidenten zuckten die Ermittler zurück. Eine Woche haben die Staatsanwälte der Anti-Korruptions-Abteilung in Hannover intern heftig diskutiert. Aber zu massiv sind die neuen Vorwürfe. Sie gaben nun offenbar den Ausschlag für den gestrigen Schritt.

Es geht nicht um den Urlaub in Florida, nicht um die Ferien auf Mallorca und in der Toskana und auch nicht um den Billig-Kredit für das Klinker-Eigenheim in Großburgwedel. Am Ende stürzt Christian Wulff möglicherweise über einen Kurz-Aufenthalt auf Sylt. In der gediegenen Luxusherberge „Hotel Stadt Hamburg“ auf Westerland, in Strandnähe und mit exklusivem Spa-Bereich, verbringt Wulff mit seiner Bettina Ende Oktober 2007 drei Nächte. Preis für den Aufenthalt: 774 Euro. Gezahlt hat Filmproduzent David Groenewold, aktuell mit dem Mega-Flop „Zettl“ in den Kinos vertreten. Als der Aufenthalt bekannt wird, lässt Wulff über seine Anwälte ausrichten, er habe das Geld im Nachhinein in bar an Groenewold zurückgegeben. Auch ein Luxus-Upgrade im Bayerischen Hof und einen weiteren Ferienaufenthalt auf Sylt will er in bar beglichen haben.

Was macht den Sylt-Trip problematischer als die anderen gesponserten Urlaube bei Unternehmerfreunden? Zwischen den Sylt-Ferien und einer Ende 2006 erteilten Bürgschaft Niedersachsens für Groenewolds Filmfirma liegen nur wenige Monate. Zwar hat Groenewold die Finanz-Garantie in Höhe von vier Millionen Euro nie in Anspruch genommen. Aber: Der kurze Zeitraum zwischen beruflichen Kontakten und privatem Vergnügen könnte nach Ansicht von Juristen den Verdacht der Vorteilsnahme nahelegen.

Wolfgang Götzer (CSU), Mitglied des Immunitätsausschusses im Bundestag, sagt: „Wir werden uns die Entscheidung nicht leicht machen.“ Laut dem Ausschuss-Chef Thomas Strobl (CDU) soll der Antrag in der nächsten Sitzungswoche behandelt werden. Die beginnt am 27. Februar, der Immunitätsausschuss tagt immer donnerstags. Es sei aber möglich, die Sitzung auf Montag vorzuziehen.
Ob es so weit kommt? Die Rücktritts-Rufe werden immer lauter. Grünen-Politiker Christian Ströbele sagte: „Diesen Antrag hat die Staatsanwaltschaft nicht leichtfertig gestellt. Es ist unvorstellbar, dass demnächst Staatsanwälte das Schloss Bellevue durchsuchen. Wulff sollte die Konsequenzen ziehen, jetzt reicht’s.“ Auch SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles fordert seinen Rücktritt. Ein Mitglied der FDP-Führung, das ungenannt bleiben wollte, sagte: „Ich glaube, das war’s.“ Aus Koalitionskreisen verlautete, dass Wulff heute eine Erklärung abgeben werde. Ein Rücktritt zur Schadensbegrenzung werde nicht ausgeschlossen. Es sei unzumutbar, dass all jene, die Wulff 2010 gewählt hätten, nun über seine Immunität entscheiden müssten.

Einer dürfte Wulffs Schicksal besonders aufmerksam verfolgen: Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer. Er ist Bundesrats-Vorsitzender und müsste im Fall eines Rücktritts Wulffs Job übernehmen.

Am vergangenen Dienstagnachmittag erreichte Seehofer im Landtag ein Anruf der „Bild“-Zeitung. Ob er ab Montag schon was vorhabe, wollte man von ihm wissen. Es könne ja sein, dass er Wulff vertreten müsse. Seehofer erwiderte entgeistert: „Das ist ja wohl ein Faschingsscherz.“ Wenn er sich da mal nicht geirrt hat.

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