Jetzt startet Obama durch!

Es ist soweit im US-Wahlkampf: Der Charismatiker Barack Obama überholt Hillary Clinton. Vor wenigen Monaten wurde der 46-jährigen Senator aus Illinois belächelt. Ach ja, der Träumer, hieß es. Jetzt verzaubert Obama ganz Amerika und gibt den Messias.
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Barack Obama auf Wahlkampftour
dpa Barack Obama auf Wahlkampftour

Es ist soweit im US-Wahlkampf: Der Charismatiker Barack Obama überholt Hillary Clinton. Vor wenigen Monaten wurde der 46-jährigen Senator aus Illinois belächelt. Ach ja, der Träumer, hieß es. Jetzt verzaubert Obama ganz Amerika und gibt den Messias.

VON VOLKER TER HASEBORG

Da steht er wieder. Lässig, die Hände in den Taschen seines schwarzen Maßanzugs. Und er hält wieder seine Predigt, in der sich ein Wort immer wiederholt: Change – zu Deutsch „Wandel“ oder „Wechsel“. „Wir haben im Osten gewonnen“, sagt Barack Obama mit seiner dunklen Stimme. Seine Anhänger jubeln. Auch im Westen, dem Süden und dem Norden sei er siegreich gewesen, fügt der Kandidat unter dem Gekreische seiner Fans hinzu. Und dann: „Diese Bewegung wird erst zum Stehen kommen, wenn sich in Washington etwas ändert.“

Vor wenigen Monaten haben die Amerikaner diesen 46-jährigen Senator aus Illinois belächelt. Ach ja, der Träumer, haben sie zueinander gesagt. In den Umfragen führte Hillary Clinton (60) mit riesigem Vorsprung. Doch dann verzauberte Obama in einem noch nie dagewesenen Wahlkampf ganz Amerika. Er gibt sich selbst als Messias, der Schwarze, Weiße, Arme und Reiche, Religiöse und Nicht-Gläubige versöhnen kann. „Wir können das Land versöhnen, wir können den Planeten heilen“, ruft er den tausenden Menschen zu, die zu seinen Wahlveranstaltungen kommen. Die Menge antwortet wie hypnotisiert: „Yes, we can!“ – ja, das können wir.

Jetzt ist der Moment gekommen, in dem selbst Skeptiker daran glauben, dass bald ein Schwarzer im Weißen Haus residieren könnte. Seit Dienstag hat Obama erstmals mehr Delegiertenstimmen für die Kandidatenkür der Demokraten als Hillary Clinton. Bei den Vorwahlen im Hauptstadtbezirk Washington DC kam Obama auf 75 Prozent der Stimmen, in Virginia stimmten zwei Drittel der demokratischen Wähler für ihn und in Maryland lag er über zwanzig Prozentpunkte vor Clinton.

Der Vorsprung bei den Delegiertenstimmen ist mit 25 Stimmen zwar nur hauchdünn, aber es geht jetzt auch um viel Psychologie: Obama, der Underdog, ist vorn. Hillary, die Favoritin aus der Politiker-Familie, liegt hinten. Hinzu kommt: Obama hat schon in 23 Bundesstaaten gewonnen, Clinton nur in zehn.

Wohin er auch kommt, fliegen diesem Barack Obama die Herzen der Amerikaner entgegen – und auch ihr Geld: Obama bekam im Januar fast dreimal so viele Wahlkampfspenden wie Clinton. Und die Wahlkampf-Milliarden entscheiden in Amerika darüber, wer nächster Präsident wird.

Doch woran liegt es, dass ein politischer Frischling eine Nation derart verzaubern kann? Ist das Land wirklich reif für Obamas „amerikanischen Traum“?

Das so stolze Amerika ist zurzeit tief verunsichert: Der Krieg im Irak ist ein Desaster, immer mehr US-Soldaten sterben. Die soziale Ungleichheit ist riesig, viele Amerikaner haben keine Krankenversicherung. Die Immobilienkrise hat die Wirtschaft demoliert. Ein Neuanfang muss her! So denken viele. Und sie sehnen sich nach einem zweiten John F. Kennedy – einem, der ihre Sorgen kennt, einem, der vermitteln kann. Nach einem, der selbst schon Krisen hatte. Nach einem, der unverbraucht von vorigen Regierungen ist. Sie sehnen sich nach Barack Obama.

„Barack Obama. Ein amerikanischer Traum“ (Hanser-Verlag, 24,90 Euro): So heißt die pünktlich zum Wahlkampf neu aufgelegte Autobiografie. Es sind Geschichten aus seiner bunt zusammengewürfelten Familie, und die Menschen hängen an seinen Lippen, wenn Obama sie bei seinen Auftritten erzählt. Der Sohn einer Weißen und eines Kenianers wächst bei seiner Großmutter auf. „Barry“ fühlt sich als Schwarzer, wird in der Schule wegen seiner Hautfarbe gehänselt. Seine Herkunft führt in ihn eine tiefe Persönlichkeitskrise, die er mit Drogen bekämpft. „Ich wollte die Frage, wer ich war, aus meinem Kopf bekommen“, schreibt er. Obama raucht Joints, nimmt Koks, nur vor Heroin macht er Halt. Während des Studiums engagiert sich Obama für die Rechte der Schwarzen. Sein Vorbild: Martin Luther King. Aus „Barry“ wird Obama – übersetzt aus dem Arabischen bedeutet es „gesegnet“.

Nach dem Jurastudium wird er nicht Anwalt, sondern eine Art Sozialarbeiter: Im Schwarzen-Stadtteil von Chicago organisiert er Bürgerversammlungen, Proteste, kämpft gegen Jugendgewalt, Rassismus und Benachteiligung der Schwarzen. Wenn Obama auf den Versammlungen redet, hören alle zu – er berührt die Leute.

Danach arbeitet Obama als Anwalt, wird 2004 Senator von Illinois. Die große politische Bühne betritt er schon im gleichen Jahr, als er dem damaligen Präsidentschaftskandidaten John Kerry beim Parteitag der Demokraten die Schau stielt: „Es gibt kein schwarzes und kein weißes Amerika. Es gibt nur die Vereinigten Staaten von Amerika. Wir sind ein Volk“, sagt er – der Obama-Boom beginnt.

Es sind vor allem die jungen Wähler, die sich vom Obama-Fieber anstecken lassen. Der jugendlich wirkende Schlacks hat etwas Cooles an sich, er hat es geschafft, dass sich junge Amerikaner wieder für Politik interessieren. Auch die Schwarzen wählen natürlich ihn. Demokraten mit höherem Einkommen und vor allem Wechselwähler finden ihn schick. Sein Problem bei den Vorwahlen bislang war, dass die weiblichen Wähler, Senioren und die zahlreichen Latinos Hillary Clinton bevorzugten. Doch die jüngsten Vorwahlen zeigen: Hillary laufen die Stammwähler davon. Obama bekommt mehr Stimmen von Frauen als Hillary. Mehr Weiße machen ihr Kreuz bei Obama als bei Clinton. Auch Senioren wechseln vom Clinton-Lager zu ihm. Außerdem stimmen jetzt viele Latino-Wähler für ihn.

Bei Hillary Clinton liegen die Nerven blank: Am Tag nach der Niederlage feuerte sie ihre Wahlkampfmanagerin Patti Solis Doyle. Ihre ganze Hoffnung sind jetzt die Vorwahlen im Südstaat Texas, wo sie auf ihre vermeintlichen Anhänger, die Latinos, setzt (siehe Infokasten). Noch am Tag ihrer Niederlage reiste sie ins texanische El Paso und tat so, als ob es die Niederlage nicht gegeben hätte. Kein Wort der Anerkennung für Obama, dem sie bei vergangenen Niederlagen noch generös gratuliert hatte. Währenddessen jubelt Obama ihr per Wahlkampfauftritt frech zu: „So sieht der Wechsel aus, wenn er von unten nach oben passiert!“

Und dann sind da ja auch noch die Republikaner, deren Wahlkampf aus deutscher Sicht neben dem glamourösen Duell Hillary-Obama fast untergeht. Vietnam-Veteran John McCain (71) hat die Präsidentschaftskandidatur nach seinen jüngsten Siegen schon so gut wie in der Tasche. Der konservative Ex-Pastor Mick Huckabee erzielte zwar beachtliche Ergebnisse. Diese empfehlen ihn aber höchstens als Vizepräsidenten-Kandidaten, meinen Wahlbeobachter.

Sicher, es ist noch ein weinig zu früh, Obama als den Kandidaten der Demokraten auszurufen. Und auch wenn er es wird: Es gebe viele Amerikaner, die keinen Schwarzen im Weißen Haus wollen, analysieren die Experten – den neuesten Umfragen zum Trotz.

Dort heißt es: Würden die Amerikaner schon jetzt ihren neuen Präsidenten wählen, würde Obama knapp vor McCain liegen.

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