Jetzt plötzlich doch: Merkel für Juncker
Lange wollte sie nicht auf den eigenen Kandidaten festlegen, setzte sogar einen Vermittler ein. Auf dem Katholikentag kam dann die Kehrtwende.
Berlin - Man möchte meinen, dass es keine allzu überraschende Nachricht ist, wenn die Chefin der größten christdemokratischen Partei Europas den Spitzenkandidaten der christdemokratischen Parteien Europas unterstützt. Aber doch: Es sorgte für allerlei Aufregung, als am Freitag nachmittag bekannt wurde, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel, Kanzlerin und CDU-Chefin, nun dafür ist, dass Jean-Claude Juncker Kommissionspräsident wird.
Die sonst so geübte Taktikerin der Macht hat bei dieser Personalie einige seltsame Volten geschlagen. Auch die Kommunikationsstrategie war unüblich: Merkel verkündete ihren Schwenk ausgerechnet auf dem Katholikentag in Regensburg, genauer gesagt bei der Diskussionsrunde „Hat die Welt noch einen Platz für Europa?“. Und damit es auch jeder außerhalb dieser Runde mitkriegt und nicht etwa für einen Versprecher hält, wies Regierungssprecher Steffen Seibert dann wenig später in Berlin auf Merkels Sätze beim Katholikentag hin. Die EVP (der Verband der Christdemokraten) sei aus der EU-Wahl als stärkste Kraft hervorgangen. „Deshalb führe ich jetzt alle Gespräche genau in diesem Geist, dass Juncker auch Präsident der Europäischen Kommission werden sollte.“
Das ist allerdings nicht die ganze Wahrheit. Denn das Wahlergebnis ist seit Sonntagabend bekannt, und auch danach noch wollte sich Merkel eben nicht auf Juncker festlegen. Auch beim EU-Gipfel am Dienstag nicht, als das EU-Parlament sich längst inklusive der Sozialdemokraten hinter Juncker gestellt hatte. Neben Merkel hatten auch Großbritannien, Ungarn, Schweden und die Niederlande Bedenken gegen eine schnelle Festlegung auf Juncker. Deswegen wurde extra EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy als Vermittler eingesetzt, der diese Top-Personalie zwischen EU-Parlament und den Regierungschefs verhandeln sollte.
"Alles andere wäre Wählertäuschung gewesen"
Noch Freitagfrüh verkündete Unionsfraktionschef Volker Kauder, die Verhandlungen um die Personalie Juncker würden „schwierig“, weil die Dinge „so kompliziert“ seien. Und am Nachmittag legt sich Merkel dann auf Juncker fest.
Da scheint also ein Umdenken bei der Kanzlerin stattgefunden zu haben. Zum einen tat sie sich schwer, eine öffentliche Begründung zu finden, warum sie den Luxemburger nicht als Kommissionspräsidenten will, der Spitzenkandidat ausgerechnet ihrer eigenen Parteienfamilie war und der jahrzehntelange Erfahrung auf dem EU-Parkett hat.
Zum anderen wuchs der Druck der öffentlichen Meinung, des Koalitionspartners SPD und auch der CDU-Abgeordneten im EU-Parlament: Bei der Wahl war immer gesagt worden, dass der siegreiche Spitzenkandidat dann auch den Top-Job bekommt – laut EU-Vertrag soll das Wählervotum zumindest „berücksichtigt“ werden. Sich darüber hinwegzusetzen und im Rat der Regierungschefs doch jemand anders auszugucken, scheint der deutschen Kanzlerin nun doch nicht ratsam gewesen zu sein. „Alles andere wäre auch Wählertäuschung gewesen“, stellte SPD-Generalsekretärin Jasmin Fahimi am Freitag zufrieden fest. „Sie hat sich der Öffentlichkeit gebeugt.“
Fragt sich noch, ob Merkels Schwenk mit den anderen Juncker-Skeptikern abgestimmt war. Oder ob ihr Einfluss in der EU groß genug ist, es alleine durchzusetzen.