Jean-Claude Juncker: "Die Parteien werden populistisch"

Jean-Claude Juncker, der Präsident der EU-Kommission, spricht im AZ-Interview über Ungarn, Fehler bei der Migration und neue Herausforderungen. Der 63-jährige luxemburgische Politiker war bis 2013 Vorsitzender der Euro-Gruppe und ist Präsident der EU-Kommission.
von  Detlef Drewes
Seit 1. November 2014 Präsident der Europäischen Kommission: der Luxemburger Jean-Claude Juncker.
Seit 1. November 2014 Präsident der Europäischen Kommission: der Luxemburger Jean-Claude Juncker. © Jean-Francois Badias/AP/dpa

Angesichts weltweiter Spannungen und des Erstarkens rechter Kräfte hat EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker in seiner „Abschiedrede“ eindringlich für mehr europäische Souveränität geworben. Um die EU intern und international zu stärken und Blockaden zu verhindern, müsse der Zwang zu einstimmigen Entscheidungen aufgehoben werden, sagte er. "Die Welt von heute braucht ein starkes und geeintes Europa", fügte er an.

Die EU sei "ein Garant des Friedens". Juncker hielt seine jährliche Rede zur Lage der EU vor dem versammelten EU-Parlamentsplenum in Straßburg. Der Kommissionschef stellt darin traditionell seine Prioritäten für das kommende Jahr vor. Das Mandat der EU-Kommission endet allerdings 2019, im Mai stehen richtungsweisende Europawahlen an.

AZ: Das EU-Parlament hat sich mit großer Mehrheit für Strafmaßnahmen gegen Ungarn ausgesprochen. Nun muss die Kommission handeln. Werden Sie gegen Budapest vorgehen?
JEAN-CLAUDE JUNCKER: Wenn ich Mitglied des Parlamentes wäre, hätte ich genauso gestimmt. Die Kommission hat Instrumente, die gegen ein Land, das die Rechtsstaatlichkeit verletzt, eingesetzt werden können. Ich stehe deshalb ganz auf der Seite des Parlamentes.

Sie gehören der Europäischen Volkspartei (EVP) an, zu der auch die ungarische Regierungspartei Fidesz zählt. Finden Sie, das passt noch?
Ich habe Probleme damit, dass Ministerpräsident Viktor Orbán mit seiner Partei weiter der Europäischen Volkspartei angehört. Und ich meine, dass die EVP in der nächsten Zeit darüber entscheiden muss, ob das in Ordnung ist.

Die Zahl der EU-Skeptiker wird größer. Aus Italien kommen fast nur noch Angriffe auf Brüssel. Wir kommen Sie mit der Regierung in Rom klar?
Ich habe erst vor wenigen Tagen mit Ministerpräsident Guiseppe Conte gesprochen und ihm erzählt, was die EU alles für sein Land getan hat – übrigens auch zur Bewältigung der Migrationslasten. Seit 2015 wurden 882 Millionen Euro nach Rom überwiesen, um die Aufwendungen für die Betreuung von Flüchtlingen auszugleichen. Italien darf 18 Milliarden Euro mehr Schulden machen, um besondere Aufwendungen tragen zu können. Die Bewältigung der Migrationskrise war eine Priorität der EU und wir haben Länder, die diese Aufgabe übernommen haben, nicht alleine gelassen.

Sie haben vor drei Jahren Initiativen ergriffen, um die illegale Migration zu stoppen und ein gemeinsames Asylrecht auf den Weg zu bringen. Trotzdem scheint nur wenig gelöst. Würden Sie heute anders handeln?
Nein, weil eine ganze Reihe dieser Beschlüsse von einigen Mitgliedstaaten nicht umgesetzt wurden und sie deshalb auch nicht wirken können. Ich verstehe, dass einige Regierungen überrascht vom Ausmaß der Krise und den von uns vorgeschlagenen Maßnahmen waren. Aber man darf schon auch fragen: Tschechien hat bisher 28 muslimische Flüchtlinge aufgenommen. Kann man da von einer „Invasion“ sprechen?

In wenigen Tagen treffen Sie mit den Staats-und Regierungschefs in Salzburg zusammen. Das Ziel: endlich einen Durchbruch in der Asylpolitik schaffen. Was erwarten Sie von dem Gipfel?
Die Europäische Asyl-Agentur wird kommen. Wir werden den Küsten- und Grenzschutz ausbauen, wir werden ihm neue Kompetenzen auch für die Abschiebung geben. Ich bin sicher, dass die Mitgliedstaaten hinter den Plänen der Kommission stehen.

Die Auseinandersetzungen mit Populisten von rechts und von links werden schärfer. Was ist passiert?
Ich höre den Vorwurf, dass die EU-Kommission daran mitschuldig ist. Nun bin ich realistisch genug, um zu wissen, dass die Kommission auch Fehler macht. Das ist so. Vor drei oder vier Jahren haben uns hier im Parlament und in allen möglichen politischen Kreisen viele gesagt, dass der Populismus zunehmen wird, wenn es der EU nicht gelingt, die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. Oder wenn wir dabei versagen, die Wirtschaft anzukurbeln. Wir haben das aber geschafft und er ist trotzdem stärker geworden. Das ist so, weil es eben auch zunehmend Teile der traditionellen Parteien gibt, die sich populistischer Sprache und Argumente bedienen. Sie sind dabei, selbst populistisch zu werden. Das ist eine große Gefahr für die nächsten Europawahlen.

merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.