Janukowitsch signalisiert Einlenken
Nach den tödlichen Schüssen auf Regierungsgegner in der Ukraine hat das prorussische Machtlager ein Einlenken signalisiert. Parlamentspräsident Wladimir Rybak kündigte eine Sondersitzung an, in der auch über den Rücktritt von Regierungschef Nikolai Asarow entschieden werden soll.
Kiew - Die Proteste Tausender Regierungsgegner hielten nach blutigen Straßenschlachten mit drei von den Behörden bestätigten Toten unvermindert an.
Präsident Viktor Janukowitsch traf sich am späten Nachmittag zu einem neuen Krisentreffen mit führenden Regierungsgegnern. Der Oppositionspolitiker Vitali Klitschko forderte die Sicherheitskräfte auf, den "Terror gegen das Volk" einzustellen.
"Die Situation erfordert eine sofortige Lösung", sagte Janukowitsch am Donnerstag bei einem Treffen mit Rybak. Kommentatoren betonten, dass der Präsident offenbar bereit sei, den unbeliebten Asarow zu opfern. In der Parlamentssitzung am kommenden Dienstag (28.1.) sollten auch umstrittene Gesetze zur Einschränkung der Pressefreiheit und des Versammlungsrechts besprochen werden. Damit geht das Machtlager nach Sicht von Beobachtern auf eine Hauptforderung der Regierungsgegner um Ex-Boxweltmeister Klitschko ein.
In Kiew kam es bei eisiger Kälte zunächst vereinzelt zu Zusammenstößen. Dann vereinbarten beide Seiten einen "Waffenstillstand". Über dem Protestlager lag weiterhin schwarzer Rauch von brennenden Autoreifen.
In mehreren west- und zentralukrainischen Städten stürmten wütende Regierungsgegner Verwaltungsgebäude. Hunderte Regierungsgegner besetzten die Gebietsverwaltung in der Großstadt Lwiw (Lemberg) rund 500 Kilometer westlich von Kiew.
Bundeskanzlerin Angela Merkel hält Sanktionen gegen die Ukraine derzeit nicht für angebracht. Dies sei "nicht das Gebot der Stunde", sagte sie nach Ende der Kabinettsklausur in Meseberg. Es müsse vielmehr darum gehen, in Kiew "Gesprächskanäle zu eröffnen". Die Bundesregierung sei "aufs Äußerste besorgt und empört", wie Gesetze "durchgepeitscht" würden, die Grundfreiheiten infrage stellten.
Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) und auch EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso boten an, in dem blutigen Machtkampf zu vermitteln.
Die Opposition hatte vom Präsidenten verlangt, bis zum Donnerstagabend zurückzutreten. Ein solcher Schritt des Staatschefs gilt aber als unwahrscheinlich. Beobachter erwarten eine lange und schwierige Krisenlösung in der früheren Sowjetrepublik.
Janukowitsch forderte Politiker im Westen wie im Osten auf, den "Kampf um die Ukraine" einzustellen und rief die Ukrainer zur Einheit auf. "Heute gibt es kein "Wir" und kein "Ihr" - alle Menschen gehören zu unserem ukrainischen Volk", sagte er. Regierungschef Asarow hingegen zeigte sich unnachgiebig. Er warf der Opposition vor, mit einem gewaltsamen Staatsstreich die Macht an sich reißen zu wollen.
Die zersplitterte Opposition, die aus prowestlichen Kräften um Klitschko sowie unkontrollierten gewaltbereiten Ultranationalisten besteht, will sich der Polizeigewalt nicht beugen. Regierungsgegner sprechen von fünf Erschossenen sowie zwei weiteren Toten. Das Innenministerium bestätigte den Tod zweier Demonstranten durch Schüsse. Ein dritter Aktivist, der am Dienstag von Unbekannten entführt worden war, sei erfroren in einem Wald bei Kiew gefunden worden. Die Leiche wies Demonstranten zufolge Folterspuren auf.
Die Opposition gründete ein Alternativparlament - die Volksrada -, um geschlossener zu handeln. Auch der frühere Parlamentschef Arseni Jazenjuk führt die Bewegung mit an. Friedensnobelpreisträger Michail Gorbatschow forderte US-Präsident Barack Obama und Kremlchef Wladimir Putin zur Vermittlung in dem Machtkampf auf.
Die Führung in Moskau warf dem Westen aber erneut eine unzulässige Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Ukraine vor. "Wir können nicht begreifen, dass Botschafter anderer Länder in Kiew der ukrainischen Regierung sagen, was sie zu tun und zu lassen hat", sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow der Zeitung "Komsomolskaja Prawda".
Die Lage in der Ukraine war eskaliert, nachdem Janukowitsch neue Gesetze zur Einschränkung der Presse- und Versammlungsfreiheit unterzeichnet hatte. Die Proteste dauern seit zwei Monaten an. Auslöser waren Janukowitschs Ablehnung einer Annäherung an die EU und die Hinwendung zum Nachbarn Russland. Putin gewährte dem klammen und krisengeschüttelten Land Milliardenhilfen.