Ist Politik ein Spiel?

Politik hat viel mit Spiel zu tun. Manche, wie Horst Seehofer, finden Gefallen dran und genießen den Reiz des Ungewissen. Ein Interview mit dem Münchner Gesellschaftsforscher Fritz Böhle      
Angela Böhm |
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Beschäftigt sich mit spielerischem Handeln in der Arbeitswelt: Der Münchner Gesellschaftsforscher Fritz Böhle
privat Beschäftigt sich mit spielerischem Handeln in der Arbeitswelt: Der Münchner Gesellschaftsforscher Fritz Böhle

Politik hat viel mit Spiel zu tun. Manche, wie Horst Seehofer, finden Gefallen dran und genießen den Reiz des Ungewissen. Ein Interview mit dem Münchner Gesellschaftsforscher Fritz Böhle

MÜNCHEN Mal vor, mal zurück. Beim Streit um die Abschaffung der Studiengebühren zelebriert Horst Seehofer mit den Schwarz-Gelben ein politisches „Mensch ärgere dich nicht“. Erst provoziert die Koalition ihr eigenes Ende, dann probt sie wieder Frieden, damit Rot-Grün sie nicht rauskegelt – und will nun Studenten erst studieren und dann zahlen lassen. Die AZ sprach mit Gesellschaftsforscher Fritz Böhle, der sich mit spielerischem Handeln beschäftigt.

AZ: Ist Politik ein Spiel?

FRITZ BÖHLE: Politik ist einerseits ein strategisches Handeln, in dem die Akteure planmäßig vorgehen, um rational bestimmte Ziele zu verfolgen. Andererseits weiß man auch in der Politik, dass man wie im Spiel Ziele nicht immer sofort erreicht und situativ auf Veränderungen und auf die Reaktionen der anderen agieren und reagieren muss.

Sind Spieler die besseren Politiker?

Das ist wie bei einer guten Fußballmannschaft. Die, die sich auf den Gegner einstellt, die auch mal was ausprobiert, die sich in ein Risiko begibt, von dem sie nicht weiß, wie es ausgehen wird, und mal schaut, wie der Gegner reagiert, hat die besseren Chancen. Oder gute Schachspieler: Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie auf ihren Gegner reagieren und nicht einfach stur ihren Plan durchziehen. Gute Politik hat sehr viel mit spielerischen Elementen zu tun, weil sie dann in der Lage ist, immer wieder auf veränderte Situationen zu reagieren.

Das klingt eher nach Wankelmut, wie bei Horst Seehofer.

Oft werden solche Verhaltensweisen als wankelmütig bezeichnet. In Wahrheit sind sie es vielleicht gar nicht. Sie ermöglichen, auf unterschiedliche Situationen immer wieder adäquat zu reagieren. Konrad Adenauer hat mal gesagt: Sie können mich ja nicht daran hindern, dass ich dazulerne, als man ihm vorgeworfen hatte, er habe am Tag zuvor noch etwas anderes gesagt. Spiel heißt: Ich weiß vorher nicht alles, sondern gewinne im Prozess die Erfahrungen und die Erkenntnisse, die mich weiter bringen.

Welche Rolle spielen Gefühle?

Die Informationen, die ich wahrnehmen muss, um zu sehen, wie der Gegner reagiert, können nicht voll rational verarbeitet werden. Es muss alles blitzschnell gehen. Dazu sind andere Fähigkeiten notwendig. Sie werden oft als Instinkt und Intuition bezeichnet. Heute weiß man, dass die auf einer besonderen Wahrnehmungsfähigkeit beruhen.

Ist Verstand da hinderlich?

Er ist wichtig, um die großen Ziele zu setzen und einen Rahmen zu bauen. Aber im Spiel muss ich ihn teilweise außer Kraft setzen können, um die anderen Wahrnehmungs- und Entscheidungs-Fähigkeiten zu aktivieren. Der Volksmund spricht von Bauchgefühl. Das ist es aber nicht. Es sind andere Bewusstseinsprozesse, die dann in Gang kommen.

Und wenn man verliert?

Der gute Spieler kann gut verlieren, weil er sagt, es war nur ein Spiel. Ein Spiel ist eine soziale Rahmung. Ich gehe bewusst aus der Realität heraus. Der Politiker muss sich aber bewusst sein, dass es nicht nur ein Spiel, sondern Realität ist. Das ist die Gefahr

Welches Risiko hat Politik?

Es könnte ja sein, das jemand an so einem Spiel Gefallen findet und diese Lust des Spielens genießt und dabei vielleicht die Differenz zwischen Realität und Spiel verschwimmt. Ein guter Spieler kennt die Grenzen ganz genau. Er weiß, wo er zu weit geht. In der Realität sind die Folgen eines Spiels nicht revidierbar. Aber ein Spiel hat immer einen Bezug zur Realität.

Und ein schlechter Spieler?

Der verwechselt Spiel mit Realität und ist dann gekränkt und beleidigt.

Sie empfehlen Unternehmern, ihre Mitarbeiter spielen zu lassen. Warum?

In der Alltagswelt wird Ungewissheit oft als etwas sehr Bedrohendes wahrgenommen, im Spiel ist sie etwas Positives. Deshalb sind Spiele so wichtig. Sie bereiten auf die Ungewissheit vor, mit der wir auch in der Realität zunehmend konfrontiert sind. Spiele fördern Innovationen. Aber man muss dann auch wieder zurückfinden in die Realität.

 

 

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