Iren stürzen die EU in eine tiefe Krise
Die Volksabstimmung in Irland ergibt eine klare Mehrheit gegen den EU-Vertrag von Lissabon – damit ist die komplette Reform zunächst gescheitert. Politiker in ganz Europa zeigten sich ernüchtert und geschockt
DUBLIN/BRÜSSEL Das ist der Gau für die Europäische Union: Die Bürger Irlands haben den EU-Reformvertrag mit klarer Mehrheit abgelehnt – und damit womöglich ganz gekippt. Zwar stand das offizielle Ergebnis am Freitag Nachmittag noch aus; nach Auszählung der Hälfte aller Stimmbezirke lagen die EU-Gegner aber bei 55 und die Befürworter bei 45 Prozent. Regierungsmitglieder wie Justizminister Dermot Ahern räumten die Niederlage unumwunden ein.
Irland ist das einzige EU-Land, dessen Verfassung ein Referendum über den EU-Vertrag vorschreibt. Befürchtungen, dass dieses negativ ausfallen würde, hatte schon die niedrige Wahlbeteiligung geweckt: Von den 3,05 Millionen registrierten irischen Wählern hatten am Donnerstag lediglich 45 Prozent abgestimmt. Die irische Regierung hatte ebenso wie die größten Oppositionsparteien und Wirtschaftsführer bis zuletzt für das Abkommen geworben.
„Vertrag von Nizza“ bleibt in Kraft
Das Nein der Iren zum „Vertrag von Lissabon“ bedeutet auf jeden Fall, dass dieser Vertrag nicht wie geplant Anfang 2009 in Kraft treten kann. Bis auf weiteres bleibt daher der seit 2003 geltende „Vertrag von Nizza“ die Rechtsgrundlage der EU. Das dürfte den EU-Regierungen noch jede Menge Kopfzerbrechen bereiten: Da die jetzige Rechtsgrundlage ausdrücklich auf maximal 27 Mitgliedsstaaten ausgelegt ist, bezweifeln Juristen, ob der für 2009 angestrebte Beitritt Kroatiens überhaupt noch möglich ist.
Politiker in ganz Europa zeigten sich ernüchtert und geschockt – insbesondere in Frankreich, das am 1. Juli für sechs Monate die Ratspräsidentschaft der EU übernimmt und nun ganz besonders gefordert ist.
Ratifizierungsprozess fortsetzen
Als Ausweg aus der schweren Krise schlug der französische EU-Staatssekretär Jean- Pierre Jouyet am Freitag vor, den Geltungsbereich des Vertrags auf die 26 übrigen EU-Staaten zu beschränken und Irland eine Art Sonderabkommen anzubieten. Der Ratifizierungsprozess solle in den anderen Ländern trotzdem fortgesetzt werden.
Der Fraktionschef der Sozialdemokraten im Europäischen Parlament, Martin Schulz, drohte mit dem Stopp des Erweiterungsprozesses. So könnten die Abgeordneten den Druck auf die Regierungen erhöhen, schnell die Zukunft der Union zu klären. Ansonsten werde er der Aufnahme weiterer Länder wie Kroatien in die EU nicht zustimmen.