Iran: Hunderttausende trotzen den Schüssen

Das Regime hat jegliche Demonstrationen verboten - doch eine Million Menschen kommen trotzdem zum Aufstand gegen Ahmadinedschads angeblichen Sieg. Die Polizei schießt in die Menge, angeblich gibt es bis zu sieben Tote. Die Lage im Iran ist so explosiv wie seit 30 Jahren nicht mehr
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Jetzt fließt Blut: Dieser Demonstrant in Teheran wurde von Polizeikugeln getroffen.
AP Jetzt fließt Blut: Dieser Demonstrant in Teheran wurde von Polizeikugeln getroffen.

Das Regime hat jegliche Demonstrationen verboten - doch eine Million Menschen kommen trotzdem zum Aufstand gegen Mahmud Ahmadinedschad angeblichen Sieg. Die Polizei schießt in die Menge, angeblich gibt es bis zu sieben Tote. Die Lage im Iran ist so explosiv wie seit 30 Jahren nicht mehr

Hoffnungsschimmer oder zynische Farce im brutalen Machtpoker von Teheran: Nach heftigen Protesten und Vorwürfen das Wahlbetrugs ordnete Irans geistliches Oberhaupt Ajatollah Ali Chamenei am Montag an, das Ergebnis der Präsidentenwahl vom Wächterrat überprüfen zu lassen. Der offizielle unterlegene Reformer Mir Hossein Mussawi reagierte auf seiner Wahlkampfseite verhalten positiv: „Eine Annullierung der Wahl ist der einzige Weg, das öffentliche Vertrauen in die Staatsorgane wiederherzustellen.“

Die Lage im Land ist extrem gespannt: Am Montag strömten bis zu einer Million Menschen trotz Verbots zu einem riesigen Platz im Zentrum Teherans – es war die größte Protestdemo seit 30 Jahren. „Wir haben euch gewarnt, wenn ihr uns betrügt, machen wir euch das Leben zur Hölle“, riefen die Demonstranten – unter ihnen auch viele Ältere und schwangere Frauen. „Gebt uns unsere Stimmen zurück!“, skandierten sie. Bei der Kundgebung trat auch Mussawi auf und forderte Neuwahlen. Für heute rief er zum landesweiten Generalstreik auf. Den Polizisten sollten sich die Demonstranten mit Rosen gegenüber stellen, ruft er die Menge auf.

Schlafsäle der Studenten gestürmt

Um die Menschenmenge zog ein massives Sicherheitsaufgebot auf. Die Polizei griff bald brutal ein: Sicherheitskräfte schossen in die Menge, dabei gab es mindestens einen Toten. Auch der iranische Staatssender berichtete von Verletzten. 170 Demonstranten sollen ins berüchtigte Evin-Gefängnis gebraucht worden sein. Die Schlachten, bei denen massiv Tränengas eingesetzt wurde, dauerten bis tief in die Nacht. Die Stimmung wurde dennoch als nicht so ohnmächtig wie am Vortag beschrieben – es sei zu spüren, dass das Regime unter Druck gerät.

Die iranische Opposition berichtete von bis zu sieben Toten auf dem Azadi-Platz. In der Nacht habe Polizei Schlafsäle von Studenten gestürmt und rund 100 von ihnen mitgenommen. Auch in anderen Städten kam es zu schweren Ausschreitungen, auch in der Stadt Schiras soll ein Student von Milizionären getötet worden sein. Beobachter fürchten, dass die Behörden noch viel brutaler vorgehen, sobald ausländische Journalisten und Wahlbeobachter das Land verlassen – deren Visa laufen in den nächsten Tagen ab.

Die Revolution von den Hausdächern

Tausende Studenten versammelten sich auf den Dächern ihrer Wohnheime und skandierten „Ahmadi Diktator“. Diesem Ruf schlossen sich Menschen von Balkonen und Dächern in der ganzen Hauptstadt an. Damit erinnerte die Opposition symbolträchtig an die Zeit vor der Islamischen Revolution von 1979, als die Bewohner auf Geheiß von Ayatollah Chomeini „Allahu Akbar“ (Gott ist groß) von den Dächern riefen.

Die Bundesregierung reagierte unterdessen äußerst besorgt auf die Lage im Iran. Außenminister Frank-Walter Steinmeier bestellte den iranischen Botschafter ein und verurteilte das „brutale Vorgehen von Sicherheitskräften“. Mahmud Ahmadinedschad, der am Vortag noch was von "vereinzelten Hooligans" gesagt hat, zeigte erste Anzeichen von Nervosität: Er verschob seinen Abflug zu einer Reise nach Russland.

Das Netz als Stimme der Opposition

Der Kampf der Regierung gegen Irans Protestbewegung ist auch ein Kampf gegen neue Kommunikationsmittel. Vor allem die populären Internetdienste Facebook und Twitter spielen eine entscheidende Rolle. Die Demokratiebewegung benützt sie, um Bilder und News in die Welt zu tragen. Das Regime reagiert, wie man es von ihm erwartet: Es versucht, Twitter und Facebook abzuschalten. Doch die weltweite Netzgemeinde versorgt die Iraner wiederum mit Tipps gegen die Netzsperren. Mehr zum Thema gibt es auch auf unserem Politikblog www.hopfen-post.de. Wer bei Twitter mitlesen will: unter #iranelection.

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