Interview zum Doppelpass mit Charles M. Huber

Im Interview mit der AZ spricht Charles M. Huber über Rassismus, die Doppelpass-Debatte und die Begeisterung vieler Deutsch-Türken für Präsident Erdogan.
Interview: Tobias Wolf, Gerald Schneider |
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Insgesamt gibt es in Deutschland knapp 1,8 Millionen Bürger mit doppelter Staatsbürgerschaft.
Daniel Bockwoldt/dpa Insgesamt gibt es in Deutschland knapp 1,8 Millionen Bürger mit doppelter Staatsbürgerschaft.

Die AZ hat mit Charles Muhamed Huber gesprochen. Der 60-Jährige ist deutscher Schauspieler, Autor und Politiker. Er wurde bekannt durch die ZDF-Fernsehserie "Der Alte". Bei der Wahl 2013 wurde er für die CDU in den Bundestag gewählt. Als in München geborener Sohn eines senegalesischen Diplomaten besitzt er auch die senegalesische Staatsbürgerschaft.

AZ: Herr Huber, nach dem Referendum in der Türkei und mit der Diskussion über die Todesstrafe kocht die Debatte um den Doppelpass wieder hoch. Sie haben neben der deutschen auch die senegalesische Staatsbürgerschaft. Wie stehen Sie zu der Diskussion?
Charles M. Huber: Natürlich ist es für die Bevölkerung und auch die Politik enttäuschend, dass sich viele Deutsch-Türken, die hier zumindest physisch ihren Lebensmittelpunkt haben, gegen das demokratische Prinzip entschieden haben. Durch die doppelte Staatsbürgerschaft hatten wir uns eigentlich erhofft, dass sich die Leute stärker an unserer Gesellschaft orientieren.

Wie erklären Sie sich, dass viele Deutsch-Türken auf der einen Seite die Vorteile unserer freiheitlich-demokratischen Ordnung genießen, auf der anderen Seite aber eben diese in der Türkei abwählen?
Wir haben die Dynamik unterschätzt, die von der Türkei und den Netzwerken, die Erdogan in Deutschland über islamische Verbände wie Ditib aufgebaut hat, ausging. Ditib hat mehr zur Integration des Islams hierzulande beigetragen als zur Integration islamischer Bürger in unsere christlich-demokratische Wertegesellschaft. Außerdem glaube ich, dass wir auch den türkischen Nationalismus unserer türkischen Mitbürger unterschätzt haben. Wir dürfen aber auch nicht vergessen, dass 40 Prozent gegen Erdogan gestimmt haben. Wenn wir jetzt den Doppelpass abschaffen würden, würden sich noch mehr Menschen Erdogan zuwenden, nach dem Motto: "Jetzt habt ihr gegen mich gestimmt und die Deutschen wollen euch trotzdem nicht haben."

Nach dem Erdogan-Referendum hieß es, dass Ausgrenzung und Rassismus viele Deutsch-Türken in die Hände des türkischen Präsidenten getrieben hätten. War das tatsächlich der Fall?
Ich komme sehr viel in der Welt herum, sehe wie Minderheiten in anderen Ländern behandelt werden. Ich kann Ihnen deshalb sagen: In Deutschland leben alle Nationen im Paradies auf Erden. Keine Gesellschaft ist frei von Rassismus. In den islamischen Ursprungsländern der Zuwanderer ist Rassismus gegenüber Schwarzafrikanern viel stärker, als wir uns das überhaupt vorstellen können. Rassismus gegenüber Deutsch-Türken sehe ich also nicht als Hauptgrund für die große Zustimmung für Erdogan.

Was ist dann der Grund?
Bei der ersten Generation türkischer Zuwanderer, den Gastarbeitern, kamen viele aus der Arbeiterschicht. Bildung spielte kaum eine Rolle. Sie blieben auch lange unter sich, innerhalb der eigenen Religion, und sprachen daheim auch nur Türkisch. Da hat sich ein eigenes Biotop gebildet. Dadurch, dass man sich zuerst auf das Geldverdienen konzentriert hat, war das Bildungsprofil nicht gleichzusetzen mit dem der Deutschen. Deshalb haben Deutsch-Türken in gewissen Kreisen nicht viel zu sagen gehabt.

Sie meinen, es war vielmehr eine intellektuelle als eine rassistische Ausgrenzung?
Rassismus alleine kann ich nicht gelten lassen. Ich bin auch ein anders aussehender Deutscher. Ich habe mir meine Jobs immer erarbeiten müssen. Und wenn Sie nicht dem klassischen Typus entsprechen – egal wo Sie sind –, müssen Sie ein bisschen mehr tun, damit Sie Ihre Ziele erreichen.

Die Debatte um den Doppelpass dreht sich insbesondere um Deutsch-Türken. Haben wir jetzt ein Problem mit dem Doppelpass oder mit Menschen einer bestimmten kulturellen Herkunft?
Es ist ganz klar eine Religionsdebatte. Dieser ging die Flüchtlingsdebatte voraus. Und wären mit der Flüchtlingsdebatte nicht Diskussionen um den Islam, Islamismus und Terrorismus einhergegangen, wäre auch die Integrationsdebatte ganz anders verlaufen.

Führt die Diskussion um eine Abschaffung der doppelten Staatsbürgerschaft dann nicht am Problem vorbei?
Wir haben über die Entscheidung zum Doppelpass das Bewusstsein der Deutsch-Türken auch kaum verändert. Wenn wir ihn jetzt für unsere Wähler abschaffen würden, wäre das nicht sinnvoll. Deshalb ist auch gut, dass Kanzlerin Bundeskanzlerin Angela Merkel gesagt hat, dass das kein Wahlkampfthema wird.

Also brauchen wir eine Debatte um Werte?
Es ist prioritär wichtig, zu sagen, dass sich jeder hier in Deutschland am Grundgesetz orientieren muss. Deshalb finde ich den Begriff der Leitkultur gar nicht so abwegig. Der Begriff ist zwar verbrannt, aber der Inhalt stimmt. Menschen, die aus einem autoritären System kommen, brauchen ein Mindestmaß an Autorität, um sich in einer anderen Gesellschaft zurechtzufinden. Leitkultur bedeutet ja nicht, dass wir jemanden wohin leiten wollen. Sie ist vielmehr eine Bestandsaufnahme der Errungenschaften unserer christlichen Wertegesellschaft und unserer westlich zivilisierten Welt. Wir können uns jetzt nicht umstellen, nur weil es Leute gibt, die eine andere Lebensvorstellung haben. Unsere Werte machen unseren Lebensraum erst attraktiv.

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