"In Deutschland ist Schluss mit Schlaraffenland"
Der 39-jährige Deutsch-Israeli ist in Berlin-Wedding aufgewachsen. Er lebt heute bei Jerusalem und arbeitete bis vor Kurzem als Sprecher israelischen Armee.
AZ: Herr Shalicar, in Israel gibt es keine Weihnachtsmärkte, aber Märkte. Fühlen Sie sich auf denen sicher?
Arye Sharuz Shalicar: Israel hat jahrzehntelange Erfahrung mit dem Terror. Dort werden andere Vorkehrungen getroffen als in Deutschland.
Nämlich?
Um Orte, an denen Konzerte stattfinden, werden Zäune gebaut, um den Flughafen herum gibt es eine Sicherheitszone von drei Kilometern, und wird ein Marathon ausgetragen, dürfen an der Strecke schon in der Nacht davor keine Autos mehr parken. Und, und, und.
Das ist das ganze Geheimnis?
Nein, natürlich nicht. In Israel gibt es viel mehr Sicherheitsfirmen, die Armee und die Polizei sind im Alltag präsent. Es geht um Präsenz, „Boots on the ground“ (Stiefel auf dem Boden, d. Red.), wie die Amerikaner sagen. Aber noch viel wichtiger ist, dass es in Israel eine andere Einstellung gegenüber den Sicherheitskräften vorherrscht. Da muss man in Deutschland umdenken.
Inwiefern?
Zuerst einmal: Der nächste Anschlag wird auch in Deutschland kommen, es ist nur eine Frage von wann, wo und wie. In Deutschland ist Schluss mit Schlaraffenland. Eine Erkenntnis, die sicher schmerzt, aber auch hier muss man sich der geopolitischen Lage anpassen. Das fällt den Deutschen schwer, weil es hier noch „Nie wieder Täter“ heißt, in Israel dagegen „Nie wieder Opfer“ – ein gewaltiger Unterschied.
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Der sich im Alltag wie bemerkbar macht?
Der normale Bürger ist wachsam, man passt aufeinander auf und ruft lieber einmal zu oft die Polizei, bevor etwas Schlimmes geschieht. Damit haben die Deutschen schon wegen ihrer Gestapo- und Stasi-Vergangenheit Probleme...
Muss in Deutschland jetzt ein großes Umdenken in Bezug auf Sicherheit stattfinden?
Die Flüchtlinge kamen wie eine Lawine über Deutschland, man hatte gar keine andere Wahl, als sie ins Land zu lassen. Aber mit den Flüchtlingen, zumindest mit einigen von ihnen, kamen auch Probleme, die das deutsche Multikulti-Wohlgefühl zerstören.
Eine direkte Folge davon ist das Erstarken der politischen Rechten.
Die AfD ist nicht Lösung, die Rechten schüren am Ende nur Hass. Aber das liberale Gutmenschentum kann mit der derzeitigen Situation auch nicht umgehen. Man muss eine gesunde Mitte finden, ohne dabei den demokratischen Weg zu verlassen.
Zurück zum eigentlichen Kampf gegen den Terror. Wie hätte sich der Anschlag von Berlin verhindern lassen?
Bevor ein solcher Markt öffnen darf, geht es um genaues Monitoring. Wie schütze ich mögliche Zufahrtswege, etwa durch versenkbare Poller? Wo muss ich die Videoüberwachung verstärken? Und am wichtigsten: Wo stelle ich uniformierte und wo stelle ich zivile Polizeibeamte auf. Letztere sind wichtiger, weil sie unerkannt erfassen können, ob ein Besucher nervös und damit verdächtig ist. Außerdem muss eine Parkverbotszone um den Markt herum eingerichtet werden – als Schutz vor Autobomben.
Muss man die Anschläge von Nizza und Berlin, bei denen Lastwagen zu Waffen wurden, als den neuen schrecklichen Terror-Trend begreifen?
Ich fürchte, ja. Wollen sich Terroristen Sprengstoff oder Schusswaffen beschaffen, müssen sie Telefongespräche führen oder Kontaktpersonen treffen. Beides birgt Risiken. Ein Lkw ist unverdächtig und praktisch überall verfügbar. Und: Die genannten Attentate waren aus Terroristensicht erfolgreich und dürften deshalb Nachahmer auf den Plan rufen. Für die Propaganda ist Berlin ein großer symbolischer Sieg, man hat ganz Deutschland ins kollektive Koma geschickt.
Zum Schluss: Was raten Sie den Deutschen?
Die Sicherheitsbehörden sollten vor allem auf Verdächtige acht geben, die schon im Land sind. Häufig sind es nämlich gerade Konvertiten oder andere Außenseiter, die meinen, dass sie sich beweisen müssen, besonders gefährlich.