In der Krise gewinnt die FDP: "Die Partei des neuen kleinen Mannes"
Warum wählen die Deutschen ausgerechnet mitten in der größten Wirtschaftskrise die FDP? Die AZ hat bei Stephan Grünewald nachgefragt, Meinungsforscher vom Institut Rheingold.
AZ: Herr Grünewald, mitten in der Krise gewinnt ausgerechnet die FDP. Ein Paradoxon?
STEPHAN GRÜNEWALD: "Das lässt sich psychologisch ganz einfach auflösen. Es gibt zwei Strategien, mit der Krise umzugehen. Aktionismus oder Verdrängung. Was obsiegt hat ist die Verdrängung der Krise. Augen zu und durch heißt die Devise. Die Wähler haben sich für Konstanz entschieden, indem sie Merkel wieder zur Kanzlerin gemacht haben. Sie steht für Beschwichtigung, sie schwebt wie eine Art nationaler Schutzengel über uns allen. Begleitet wird sie nun vom Volktribun Westerwelle, der sein Füllhorn ausgießt und allen staatliche Kamellen verspricht."
Ist die FDP nicht mehr die neoliberale Klientelpartei?
Nein, die FDP hat einen Bedeutungswandel hingelegt. Sie gilt jetzt als die Partei des neuen kleinen Mannes, des Mittelständlers. Auch Westerwelle hat diesen Wandel durchgemacht, vom Karrieristen und Spaßvogel hin zum Volkstribun, der weiß, was die Menschen brauchen. Beim letzten Wahlkampf konnte man die FDP noch als das marktradikale kalte Schreckgespenst aufbauen, das funktioniert nicht mehr.
Warum war die Fraktion der Krisen-Verdränger stärker?
Die Krise war für viele Menschen bisher ja noch nicht spürbar. Im vergangenen Jahr haben sich die Lebenshaltungskosten deutlich gesenkt, es gab billige Autos, Benzin ist so günstig wie lange nicht. Und wenn dann am Horizont noch das süße Versprechen nach Steuersenkungen aufblitzt, entscheiden sich viele für diese Lösung.
Steuersenkungen wird es aber nicht geben.
Die Enttäuschung ist vorprogrammiert. Es wird zwangsläufig Einschnitte geben, auf die das Wahlvolk überhaupt nicht vorbereitet ist. Es herrscht im Land ja keine Ruck-Stimmung, die Menschen denken, es geht so weiter wie bisher. Das wird in der neuen Koalition zumindest zu einer Zerreißprobe führen. Und dann hat Merkel noch eine neue dreiköpfige Opposition, die sie vor sich hertreiben kann.
Glauben Sie, Merkel ist glücklich über Schwarz-Gelb?
Für sie persönlich wäre es sicher einfacher gewesen, in der großen Koalition weiterzuregieren. Nötige Härten hätte sie wie üblich der SPD zuschieben können, ihr Image wäre davon nicht berührt worden.
Annette Zoch
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