In Afghanistan werden die Stimmen ausgezählt
Kabul - Rund sieben Millionen Afghanen hatten gestern Angriffen der Taliban getrotzt und einen Nachfolger für Präsident Hamid Karsai gewählt.
Bei der von Gewalt überschatteten Stichwahl traten Ex-Außenminister Abdullah Abdullah sowie der frühere Finanzminister Aschraf Ghani gegeneinander an. Es handelt sich um den ersten demokratischen Machtwechsel in der Geschichte des Landes. Bei zahlreichen Anschlägen und Gefechten kamen am Wahltag Dutzende Menschen ums Leben.
Die USA, Deutschland und UN-Generalsekretär Ban Ki Moon sprachen angesichts der Wahlbeteiligung von einem ermutigenden Signal. Das vorläufige Wahlergebnis wird wegen der langwierigen Stimmenauszählung und der Überprüfung von Betrugsvorwürfen erst Anfang Juli verkündet.
Den Taliban gelang es nicht, die Wahl maßgeblich zu stören. Trotzdem wurde die Abstimmung von Gewalt überschattet. Nach Angaben des Innenministeriums kamen bei landesweit 150 Anschlägen und Angriffen 20 Zivilisten, 15 Soldaten, 11 Polizisten und 1 Mitarbeiter der Wahlkommission ums Leben. Sicherheitskräfte töteten demnach außerdem 19 Taliban-Kämpfer. Unter den getöteten Zivilisten waren 5 Kinder. Bei der ersten Wahlrunde am 5. April hatte das Innenministerium 140 Angriffen und Anschlägen registriert.
Vize-Innenminister Mohammad Ajub Salangi teilte mit, Taliban-Kämpfer hätten elf Wählern deren mit Tinte markierten Finger abgeschnitten. Bei Wahlen in Afghanistan wird ein Zeigefinger des Wählers mit nicht abwaschbarer Tinte markiert, um eine mehrfache Stimmabgabe zu verhindern. Damit wird allerdings auch für die Taliban ersichtlich, wer deren Aufruf zum Wahlboykott missachtet hat. Die Taliban hatten Afghanen mit dem Tode bedroht, sollten sie wählen gehen.
Nach Angaben der Regierung wurden 400 000 Sicherheitskräfte eingesetzt, um Wähler und Wahllokale zu schützen. Unmittelbar nach dem Ende der Wahl begann die Auszählung der Stimmen.
Nach Angaben der Wahlkommission (IEC) beteiligten sich mehr als sieben Millionen der rund zwölf Millionen Wahlberechtigten an der Abstimmung. Mit rund 60 Prozent entspricht das in etwa der Quote aus der ersten Wahlrunde und übertrifft die Erwartungen deutlich. Nach IEC-Angaben waren 38 Prozent der Wähler vom Samstag Frauen.
In Kabul und in anderen Städten bildeten sich Schlangen vor Wahllokalen. Aus einigen ländlichen Gegenden berichteten Augenzeugen allerdings, dass Drohungen der Taliban Wahlberechtigte abschreckten. In mehr als 330 Wahllokalen im Land gingen die Wahlzettel aus, die Wahlkommission musste Nachschub liefern. Auch Betrugsvorwürfe wurden laut. Die Wahlbeschwerdekommission (ECC) meldete 250 Beschwerden.
Die Wahlkommission will ein vorläufiges Wahlergebnis am 2. Juli und ein amtliches Endergebnis am 22. Juli verkünden. Die Amtseinführung des neuen Präsidenten - die erste demokratische Machtübergabe in der Geschichte des Landes - ist für den 2. August geplant.
Der scheidende Präsident Karsai gratulierte seinen Landsleuten am Abend dazu, trotz der Gewalt mit einem "starken Herzen" gewählt und Afghanistan "stolz und erfolgreich" gemacht zu haben. Karsai sprach von einem "großen Schritt in Richtung Stabilität und Frieden".
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