Immer wieder Sachsen: Wie rechts ist Ostdeutschland?
Berlin - Dass Ostdeutschland ein Schwerpunkt ausländerfeindlicher Kriminalität ist, überrascht niemanden mehr. Vor allem ein Bundesland steht dabei im Vordergrund: Sachsen. Erst machen Heidenau und Freital Schlagzeilen, jetzt Clausnitz und Bautzen. Seit der Zuzug von Flüchtlingen nach Deutschland massiv zugenommen hat, steigt auch die Zahl der Straftaten gegen Asylunterkünfte und Ausländer dramatisch an – nicht nur im Osten und nicht nur in Sachsen, aber dort gab es besonders spektakuläre Fälle.
In Sachsen ist eine "Mischszene" aktiv
2015 wurden bundesweit etwa 1000 Straftaten gegen Asylunterkünfte registriert. 2014 waren es nur 199. Allein in den ersten sechs Wochen dieses Jahres gab es schon 118 Straftaten, geht aus den neuesten Zahlen des Bundesinnenministeriums hervor. Im ersten Halbjahr 2015 fanden mehr als 40 Prozent der registrierten Angriffe in den ostdeutschen Bundesländern statt. Dabei stellen die Ost-Länder weniger als 20 Prozent der Bundesbevölkerung.
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Warum aber Sachsen? „Das liegt an der Regierung in Dresden, die lange Zeit und immer wieder rechtsextreme Gewalt verharmlost oder sogar geleugnet hat“, sagt der Extremismusforscher Hajo Funke.
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In Sachsen sei eine „Mischszene“ aktiv – Neonazis und von der ausländerfeindlichen Pegida-Bewegung mobilisierte Bürger. Deren Mobilisierung habe inzwischen die rechtspopulistische AfD übernommen. „Das ist so prekär, weil der braune Schatten an die Tür klopft“, erklärt Funke. Gemeint ist die NPD, die sich reaktiviert habe. Aber auch die Partei Die Rechte, Neonazis, Hooligans und organisierte Kriminalität mischten mit. „Das erklärt die Gewaltwelle gerade in Sachsen.“
Enttäuschung nach der Wiedervereinigung 1990
Aber es geht nicht nur um Sachsen. „Natürlich gibt es eine ostdeutsche Problematik im Hintergrund“, erklärt Funke. Viele seien enttäuscht gewesen über die Entwicklung nach der Wiedervereinigung 1990. „Aus dieser Enttäuschung ist eine damals junge Generation nach rechts ausgebrochen.“
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Auch der frühere Bundestagspräsident Wolfgang Thierse bezeichnet die Menschen im Osten als „empfänglicher für menschenfeindliche Botschaften“. Dies erklärt sich der SPD-Politiker mit den „radikalen Umbrüchen der vergangenen Jahre“. „Wer in 25 Jahren so viele Veränderungen überstehen musste, ist offensichtlich weniger gefestigt in seinen demokratischen und moralischen Überzeugungen“, so Thierse.
Der Politikwissenschaftler Jochen Staadt sieht hinter dem Fremdenhass im Osten ebenfalls eine „lange Vorgeschichte in der DDR“. Staadt führt die Ausschreitungen auch auf die Ausländerpolitik der DDR zurück. Gab es zunächst verschwindend wenige Ausländer, stieg die Zahl in den 80er Jahren sprunghaft an – und damit der Unmut der Bevölkerung. Zudem sei Integration in der DDR ein Fremdwort gewesen. Besser lief das dagegen, so Staadt, mit der Aufnahme von Altnazis in die Staatspartei SED.
Und auch Funke spricht von einer „Kontinuität der Diktaturen“. Es gebe eine autoritäre Tradition. Die ausgebliebene Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus in der DDR habe auch zu Verhaltensmustern beigetragen, die immer einen Sündenbock suchten: erst Juden, dann die sogenannten Vertragsarbeiter, heute Flüchtlinge.