Immer mehr Sackgassen - versagt das System Merkel?
BERLIN - Muss Bundeskanzlerin Angela Merkel tatsächlich mal sowas wie durchgreifen? Ihr bisheriger Stil des unfestgelegten Moderierens klappt nicht mehr – ausgerechnet beim Wunschpaar Schwarz-Gelb
Was ist los mit Bundeskanzlerin Angela Merkel? Was ist aus der pragmatischen Präsidialkanzlerin geworden, die Konflikte bisher durch Nicht-Festlegen und Moderieren gelöst hat? Momentan gibt es gleich mehrere Züge, die ungebremst aufeinander zurasen: im Steuerstreit Länder gegen Bund, im Steinbach-Streit FDP gegen Union. Dazu kommen andere, mühsam aufgeschobene Konflikte wie etwa ums Betreuungsgeld oder das Gesundheitssystem. Versagt das System Merkel? Ausgerechnet im Bündnis mit dem gepriesenen Wunschpartner?
Schon ihr früherer Vize Franz Müntefering hatte ihr vorgehalten, sie regiere nicht als Kanzlerin, sondern verwalte die Republik wie eine Geschäftsführerin. Doch damals hat es meist funktioniert. Heute hakt es. „Merkel müsste jetzt zur Abwechslung mal eine Frage klären“, ätzt Volker Beck, grüner Fraktionsgeschäftsführer. „So wenig Führung wie jetzt war nie.“
"Keine pflegeleichte Koalition mit der allzu loyalen SPD"
Auch Politikprofessor Nils Diederich stellt fest: „Der aktuelle Gesamteindruck lässt an der Führungsfähigkeit der Kanzlerin zweifeln.“ Es sei „außergewöhnlich, mit welchem Tempo eine gute Stimmungslage zu kippen droht“, analysiert der Berliner Forscher. „Zweifellos hat sie mit der Rolle der Moderatorin eine pflegeleichte Koalition mit der allzu loyalen SPD beherrschen können. Das scheint nun schwieriger.“
In der Tat hat es zwischen Rot und Schwarz besser funktioniert, räumen auch CDUler ein, die dies nie für möglich gehalten hätten – aber bei den Genossen sei die Verantwortung für die gesamte Gesellschaft (und nicht nur Klientelgruppen) und das gesamte Land (und nicht nur Bayern) ausgeprägter gewesen.
Seehofer: "Das Maximum herauszuholen, ist Pflicht"
Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer räumt dies offen ein: Beim Koalitionsausschuss – bei dem andere Streitthemen wie Steinbach oder Gesundheit sicherheitshalber erst gar nicht auf der Tagesordnung standen – zeigte er sogar Verständnis für den schleswig-holsteinischen Kollegen Peter Harry Carstensen und dessen Widerstand gegen das Steuerpaket: „Jedes Land muss die eigenen Interessen vertreten. Das Maximum herauszuholen, ist seine Pflicht“, so Seehofer. Er verfahre ja selbst ähnlich, weil er die Hotels begünstigen wolle.
Der zweite Unterschied zu Rot-Schwarz: Die Mehrheitsverhältnisse sind knapper. In der Konstellation, die Vorstellungen zweier großer, diffuser Blöcke aus- und anzugleichen, hat Merkels moderierender Stil ohne eigene Festlegung soweit funktioniert. Jetzt aber haben die einzelnen Akteure größere Hebel: Auf die AZ-Frage, ob es ihn nicht gestört hat, bei der Klausur in Meseberg nicht dabeigewesen zu sein, verwies Seehofer gut gelaunt auf den Umstand, dass er in der großen Koalition aus reinen Stimmgründen nicht gebraucht wurde. Jetzt geht es im Bundestag schon rein rechnerisch nicht ohne die CSU.
Die Länder werden mit Geld ruhiggestellt
Genauso die Länder. Die große Koalition brauchte sich um die Zustimmung im Bundesrat nie echte Sorgen machen. Nun aber reicht ein kleines Land wie Schleswig-Holstein für eine Blockade. Und die lange vermeintlich unangreifbare Kanzlerin hatte offenbar nicht damit gerechnet, dass diese Blockade auch kommt. Ohnehin erstaunt es, dass Merkel trotz ihres Gespürs derzeit in Sackgassen gerät: Der Widerstand der Länder im Steuerstreit war ebenso absehbar wie der von der FDP gegen Steinbach.
Eine Niederlage aber wird Bundeskanzlerin Angela Merkel um jeden Preis vermeiden: „Meine Prognose ist, dass die Länder durch finanzielle Zugeständnisse ruhiggestellt werden“, sagt Politikprofessor Diederich. „Ein Verlust der Bundesratsmehrheit wäre die Erosion von Merkels Machtbasis.“ tan