Ilse allein in München
MÜNCHEN Stramm marschiert Ilse Aigner in das Standl auf dem Elisabethmarkt mitten in Schwabing – bis sie merkt, dass sie mit der Verkäuferin nicht viel anfangen kann. Wissi Balaf (23) ist Kurdin. Die Landwirtschaftsministerin macht sofort kehrt und steuert ein anderes Standl an. „Entschuldigung, welche Ministerin war das jetzt“, fragt Wissi Balaf erschrocken. Doch hätte sich ein Gespräch mit der jungen Migrantin für die Kronprinzessin von Horst Seehofer gelohnt. Sie hat nämlich die deutsche Staatsbürgerschaft und geht am 15.<TH>September zum ersten Mal zur Wahl. Wen sie wählen wird? „Ich hab’ mich noch nicht entschieden“, sagt Balaf schüchtern.
„Wir haben ein Pech, schlimmer geht’s wirklich nimmer.“
Dabei braucht Ilse Aigner jede Stimme. Vor einem Jahr hat CSU-Ministerpräsident Horst Seehofer die 48-Jährige aus Berlin heim beordert. Die Ilse soll es für ihn richten und die CSU-Wähler im Problemgebiet Oberbayern und München zurückholen. Hier waren die Christsozialen 2008 brutal abgestürzt – und haben ein Drittel ihrer Stimmen verloren. Wenn Seehofer mit seiner Partei hier nicht kräftig zulegt, wird’s nichts mit der Rückkehr zur Alleinregierung. Und Kronprinzen-Konkurrent Markus Söder wartet nur darauf, dass die CSU-Chefin von Oberbayern ihr gestecktes Ziel nicht erreicht, und schlechter abschneidet als er, der CSU-Chef in Nürnberg.
Einen besonders schweren Brocken hat sich Aigner für diesen Montag vorgenommen. Eigentlich käme ihr ja der Elisabethmarkt entgegen. Der ist nach der Bayern-Prinzessin und österreichischen Kaiserin Sissi benannt. Schon beim Aussteigen aus ihrem Audi mit Miesbacher Kennzeichen erklärt sie: „Ilse ist die Abkürzung von Elisabeth. Staatlich heiß’ ich Ilse, kirchlich Elisabeth.“
Der Elisabethmarkt liegt im einzigen Stimmkreis Bayerns, der wie ein roter Stachel im schwarzen Fleisch der CSU sitzt. Schon lange haben ihn die Christsozialen nicht mehr gewonnen. Sogar Strauß-Tochter Monika Hohlmeier hat sich hier an den Roten die Zähne ausgebissen. Mit großem Vorsprung hatte SPD-Platzhirsch Franz Maget den Stimmkreis 104 München-Milbertshofen, der sich bis Schwabing hinein zum Elisabethmarkt zieht, bei den letzten Wahlen in Besitz genommen.
Am 15. September kommt es hier zur Damen-Wahl. Maget hat das Zepter an seine langjährige Mitarbeiterin Ruth Waldmann übergeben, die in der roten Enklave bestens vernetzt ist. Für die Grünen geht ihre robuste Stadtvorsitzende Katharina Schulze (27) ins Rennen. Sie hat sich bei der Organisation des Widerstands gegen die Olympischen Winterspiele und die dritte Startbahn profiliert.
Für die CSU rackert sich als einzige Frau in München Mechthilde Wittmann (45) ab. Die Top-Juristin (Insolvenz- und Wirtschaftsrecht) sitzt seit 19 Jahren im Stadtrat und ist Vize-Fraktionsvorsitzende.
Mit ihren beiden sechs- und achtjährigen Töchtern sowie ihre siebenjährigen Nichte empfängt sie Ilse Aigner. Die Mädchen haben schon Wahlkampfmaterial in Taschen gepackt, die sie nun an die Wähler verteilen sollen.
Doch es kommt niemand. Es regnet in Strömen. Die Hälfte der Marktstandl hat erst gar nicht geöffnet. Die Kinder sind klatschnass. Die beigen Pumps, die Mechthilde Wittmann zu weißer Jeans und pinkem Polo trägt, halten dem Regen nicht Stand. Sie hat nasse Füße und zetert: „Wir haben ein Pech, das ist doch unfassbar, schlimmer geht’s wirklich nimmer.“
Ilse Aigner, die Fernmeldetechnikerin aus Feldkirchen-Westerham, hat wenigstens feste Schuhe zu ihrem rotkarierten Spencer und braunen Rock an. Auf dem Land, da tut sich Seehofer’s Dirndlkönigin leichter, da ist der direkte Kontakt zu den Wählern ihre große Stärke. „Auf dem Land kommen die Menschen eher zu solchen Veranstaltungen“, sagt sie. In der Stadt, am Elisabethmarkt, läuft irgendwie gar nichts für sie.
„Die Landwirtschaftspolitik ist doch schon fragwürdig“
Die Verkäuferin am Demeter-Standl schaut nicht begeistert: „Bei uns lässt die sich nicht so gerne blicken“, lästert sie über die Landwirtschaftsministerin und behält recht. „Die Landwirtschaftspolitik ist doch schon fragwürdig“, kommentiert sie Aigners Erscheinen.
Im Kässtandl macht die Oberbayerin kurz Smalltalk: „Wir haben schon ganz spezielle Kunden hier“, erklärt ihr die Verkäuferin. „Ja, der Kunde ist König“, erwidert Aigner und ist wieder weg.
Ihre Pressesprecherin sorgt sich unterdessen um die richtigen Fotos: „Wir brauchen für die Fotografen noch was mit regionalem Obst und Gemüse.“ Aigner sorgt sich um ihre Frisur: „Bei Regen bekomm’ ich lauter Wuggerl.“ Was übersetzt heißt: Bei Regen kommen ihre Naturlocken durch.
Die Ministerin huscht noch schnell ins Blumenstandl und wird dort sofort wieder hinauskomplimentiert. „Trauerkränze und Gebinde“ steht über dem Eingang. „Wir haben jetzt keine Zeit“, heißt es drinnen. „Wenn jemand arbeiten will, muss man das respektieren“, sagt Aigner. Sie vermutet: „Die haben offenbar einen Großauftrag bekommen.“
Im „Grenzstein“, der kleinen Kneipe am Ende der Standl-Reihe, ist Aigner dann endlich in ihrem Element. Es duftet nach Olivenhühnchen mit Peperonata, nach Mangoldmousaka und Johannisbeermuffins.
Das alles aber interessiert die Landwirtschaftsministerin nicht. Ganz oben im Regal hat sie eine Packung Dinzler Kaffee entdeckt. Ihr Gesicht blüht auf. „Der is am Irschenberg droben, des muasst da moi oschaugn“, dreht sie sich zu Mechthilde Wittmann. Die ist gerade mit ihrer kleinen Tochter beschäftigt, die motzt: „Mama, ich will die Taschen nicht mehr tragen.“ Keine einzige ist sie losgeworden.
„In der Großstadt ist es viel schwieriger als am Land“
Aigners Laune kann jetzt nichts mehr trüben. Der Dinzler Kaffee, die Rösterei am Irschenberg, das ist gleich bei ihr daheim ums Ecke. Da kann sie sagen: „I bin die Ilse, und hier bin i dahoam.“ Hier mögen sie die Leute so wie sie ist. Auch Aushilfe Carola mag sie und schwärmt mit ihr über den Dinzler Kaffee: „Ja, der is so cremig.“
Beim Standl von Karl Huczala bekommt Aigner die regionalen Produkte fürs Foto in die Hand. Huczala zieht von unten ein Kisterl mit Äpfeln heraus: „Das sind die ersten deutschen Elstar.“ Aigner und Wittmann greifen hinein. „Meiner ist größer“, reckt die Ministerin ihren Apfel in die Kameras. Dann übernimmt sie alleine die Bühne, posiert mit Kohlrabi und Radieserl.
Schließlich kommt es nur auf die Bilder an. Dass das ein Wahlkampf-Termin ohne Wähler war, sieht auf denen niemand. Auch wenn Aigner am Ende zugibt: „In der Großstadt ist es generell schwieriger als am Land, das muss ich ehrlich sagen.“