"Ihr wisst, dass ich selber weiß, wovon ich rede"

Mit unfreiwilliger Komik macht Parteichef Kurt Beck den SPD-Zukunfts- kongress zur surrealen Veranstaltung. Parteigrössen müssen 80 Minuten stehen und Merkwürdiges hören - Gesine Schwan kann es dann auch nicht mehr rausreissen.
von  Abendzeitung
Es sollte ein Bild von Dynamik vermitteln. Doch die Mienen des SPD-Adels in Nürnberg verraten eher die Mühen der Ebene – oder das Leid am Vorsitzenden.
Es sollte ein Bild von Dynamik vermitteln. Doch die Mienen des SPD-Adels in Nürnberg verraten eher die Mühen der Ebene – oder das Leid am Vorsitzenden. © AP

MÜNCHEN - Mit unfreiwilliger Komik macht Parteichef Kurt Beck den SPD-Zukunfts- kongress zur surrealen Veranstaltung. Parteigrössen müssen 80 Minuten stehen und Merkwürdiges hören - Gesine Schwan kann es dann auch nicht mehr rausreissen.

Die Szene ist symptomatisch für die Gemütslage der SPD. "Liebe Genossen", hebt Hubertus Heil zum Ende des Zukunftskongresses in der Nürnberger Messehalle an, "ihr kennt doch alle den Slogan von Barack Obama. Bitte ruft ihn doch auch einmal." Der Generalsekretär will, dass seine Partei die neue Hoffnung begrüsst, nämlich die Möchtegern-Bundespräsidentin Gesine Schwan. Doch Obamas "Yes we can", mit dem die Delegierten die Professorin aus Frankfurt an der Oder auf die Bühne brüllen sollen, klingt aus dem Mund der SPD-Mitglieder wie ein verzagter Seufzer: "Jehswiekähn."

Man kann es den Genossen kaum verdenken: Auch ihre Parteiführung wirkt in Nürnberg depressiv. Der schwer angeschlagene Vorsitzende Kurt Beck hält zwar 80 Minuten lang eine kämpferische, aber auch bärbeissig-verbiesterte Rede. Stimmung kommt unter den knapp 3000 Sozis erst auf, als die wahlkämpfende Bayern-SPD ein Zeichentrickfilmchen zeigt, das sich hämisch über das CSU-Tandem und Edmund Stoiber lustig macht. Die Genossen aus ganz Deutschland, die alle drollige Buttons wie "Bayern Sozi" oder "Sachsen Sozi" tragen müssen, biegen sich vor Lachen. Für Komik sorgt sonst nur noch Beck - unfreiwillig: "Die Bayern sind kluge Leute", ruft er mit Blick auf die Landtagswahl, "sie werden auch diesmal klug entscheiden." Hallo? Auch diesmal? Beck bleibt ein Redner mit Hang zum Rhetorik-Fauxpas.

Verunsichert ist die Basis nach Nürnberg gereist. "Mal sehen, was Kurtchen so erzählt", murmelt ein Genosse aus Norddeutschland im Shuttle-Bus zur Messe. "Habt ihr die neuen Umfragen gesehen? Nur noch 21 Prozent für uns."

Kurt Beck erinnert denn auch an einen Beerdigungsredner, als er in der schmucklosen, düsteren Halle ans Mikrofon tritt: "Wir, die Parteiführung, haben allen Grund, euch ein besonderes Wort des Respekts zu sagen", entschuldigt sich Beck gewunden für das Führungschaos der vergangenen Monate. "Wir haben nicht immer das beste Bild abgegeben." Die Geschichte der SPD sei immer eine Geschichte des Kampfes gewesen, sagt der Parteichef. Weist hin auf die Sozialistengesetze, die DDR und die Adenauer-Republik. Jammert über fiese Meinungsumfragen und gemeine Journalisten. O-Ton Beck: "Lasst euch nicht durch alles durcheinandermachen, was über uns geschrieben und gesendet wird. Ihr wisst, dass ich selber weiss, wovon ich rede."

Ein bizarres Bild

Er könne es gerne "zum 103. Mal" wiederholen, pampt Beck, aber die Machtfrage sei "aus heutiger Sicht entschieden". Aus heutiger Sicht? Beck plädiert an diesem Tag jedenfalls für eine rot-gelb-grüne Ampel: "Deutschland tut gut daran, das Lagerdenken zu durchbrechen und über neue Schnittmengen nachzudenken", sagt der SPD-Chef. Lobt die rot-grüne Regierungszeit und schmiert den Liberalen pappsüssen Honig um den Bart. Die sozialliberalen Koalitionen unter Willy Brandt und Helmut Schmidt seien "eine gute Zeit für Deutschland" gewesen, ruft Beck und erhält Szenenapplaus: "Wir schlagen keine Türen zu, sondern machen diese Tür ausdrücklich auf." Nur für "die so genannte Linke" soll das nicht gelten. Beck macht jetzt ein richtig angeekeltes Gesicht: "2009 wird es keine Regierungsbildung oder Duldung mit dieser Gruppierung geben können. "Weil diese Partei mit Grundzügen unserer unabänderlichen Überzeugung völlig auseinander ist." Hinter Beck steht der Berliner SPD-Bürgermeister Klaus Wowereit, der mit der Linken koaliert. Und applaudiert. Ein bizarres Bild.

Je länger Kurt Beck redet, kämpft und sich den Schweiss aus dem Gesicht wischt, desto zermürbter wirken die Beck im Genick sitzenden Granden: Peer Steinbrücks Mundwinkel weisen steil nach unten, Andrea Nahles zeigt ein gefrorenes Pokerface, Frank-Walter Steinmeier guckt ausdruckslos, und bei Fraktionschef Peter Struck droht jederzeit der Kaugummi aus dem Mund zu fallen.

Noch bedauernswerter wirken indes Genossen wie die Minister Tiefensee und Scholz oder Bayerns Landesgruppenchef Florian Pronold, denen die Regie nur Stehplätze auf dem Podium zugewiesen hat - eine Strafexpedition. Wenn sie ihrem Vorsitzenden zuklatschen, dann sehen sie aus wie Messdiener, die keusch das Weihrauchfass in Richtung Altar schwenken, aber in Gedanken längst dabei sind, heimlich den Messwein zu trinken oder Hostien zu klauen.

Versteckter Seitenhieb auf Steinmeier?

Vielleicht sind sie in Gedanken aber auch bei gestreuten Gerüchten, wonach sich der engste SPD-Führungszirkel bereits auf Steinmeier als Kanzlerkandidaten festgelegt habe. Beck sagt dazu kein Wort. Nur, dass "der Frank-Walter Steinmeier grossartige Arbeit leistet" und keiner sei, "der auf den roten Teppich schielt". Ein versteckter Seitenhieb?

Am Ende, das erlebt man selten bei der SPD, fällt das Echo auf Becks Rede bei manchen Medienvertretern sogar besser aus bei den Parteisoldaten. "Das war mittelmässig, allenfalls", stöhnt ein Strippenzieher aus dem Willy-Brandt-Haus. "Ein bisschen viel in der Historie rumgekramt für einen Zukunftskongress" habe Beck, kritisiert der 21-jährige Simon, der in Erlangen Politik studiert und erst seit einem halben Jahr Genosse ist. Der Vorsitzende habe angeschlagen gewirkt - "und irgendwie auch ein bisschen böse".

Am Ende gibt's dann wenigstens noch das versprochene Zuckerl für die Basis: Im orangenen, kurzärmeligen Sommerblazer kommt Gesine Schwan direkt aus dem Italien-Urlaub angerauscht. "Sie bewegt nicht nur unseren Verstand, sondern auch unser Herz", sagt Generalsekretär Heil. Die Kandidatin Schwan strahlt, zeigt viel Zahn, plaudert ein wenig über Montesquieu, betreibt ein bisserl Medienschelte und doziert darüber, dass SPD und Grüne als einzige Parteien im Land "auf der Höhe der Zeit" seien.

Dann wendet sie sich an den Vorsitzenden: "Was du alles aushältst, Kurt Beck, an öffentlichem Bashing, das ist wirklich eine Menge. Ich gratuliere dir, dass du das lächelnd tust." Schnell knipst der SPD-Chef da ein Lächeln an - und beendet die Veranstaltung.

Markus Jox

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