"Ideologie, Intrigen, Machtkämpfe" - Linken-Politiker kritisiert seine Partei

André Brie sitzt seit 1999 im Europäischen Parlament. Er ist einer der Mitbegründer der PDS. Heute äußert er sich nicht nur kritisch über die SED, sondern auch über die Linke. Im AZ-Interview geht der 59-Jährige mit seiner Partei hart ins Gericht.
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André Brie nach seiner Wahlniederlage beim Europa-Parteitag mit seiner Ehefrau, der sächsischen Landtagsabgeordneten Ingrid Mattern.
dpa André Brie nach seiner Wahlniederlage beim Europa-Parteitag mit seiner Ehefrau, der sächsischen Landtagsabgeordneten Ingrid Mattern.

André Brie sitzt seit 1999 im Europäischen Parlament. Er ist einer der Mitbegründer der PDS. Heute äußert er sich nicht nur kritisch über die SED, sondern auch über die Linke. Im AZ-Interview geht der 59-Jährige mit seiner Partei hart ins Gericht.

André Brie sitzt seit 1999 im Europäischen Parlament. Er ist einer der Mitbegründer der PDS, leitete deren Grundsatzkommission. Bereits 1969 wurde er Mitglied der SED und war in dieser Zeit auch als IM der Stasi tätig. Heute äußert er sich nicht nur kritisch über die SED, sondern auch über die Linke. Peter Glotz nannte ihn den "Heiner Geißler der PDS". Im AZ-Interview geht der 59-Jährige mit seiner Partei hart ins Gericht.

AZ: Gestern hat Ihre bisherige EU-Fraktionskollegin Sylvia-Yvonne Kaufmann den Austritt aus der Linken erklärt. Können Sie das verstehen?

ANDRE BRIE: Ich bedauere das, es ist ein großer Verlust für uns. Aber es ist mir auch erklärlich durch die Ausgrenzung, die sie erfahren hat. Ich denke trotzdem, dass es ein falscher Schritt ist. Sie ist eine Linke, sie gehört mit ihrem gesamten Profil eigentlich in die Linkspartei.

Sie sind beim Europaparteitag auch nicht mehr aufgestellt worden, fühlen Sie sich ebenfalls ausgegrenzt?

Ich persönlich habe für mich entschieden, dass man um diese Partei kämpfen muss. Sie ist notwendig, sie hat ein großes positives Potenzial. Aber es gibt äußerst negative, verstörende Tendenzen, eine Zunahme von fundamentalistischen Kräften mit inhaltlich leeren Glaubenssätzen, mit Sektierertum und auch mit antieuropäischen Positionen.

Wie erklären Sie sich diese Strömungen?

Wir haben in den vergangenen Jahren unsere programmatische Klärung hinten angestellt. Und wir haben vor allen Dingen die Auseinandersetzung mit der Kulturlosigkeit der alten kommunistischen Parteitradition nicht geführt.

Das heißt konkret?

Wir verharren in Ideologie, Intrigen, Machtkämpfen, Diffamierungen.

Fühlen Sie sich gemobbt?

Ach, so was gibt es schon, aber das spielt für mich persönlich keine Rolle. Für die Partei insgesamt ist das verheerend.

"Wir müssen zu Kompromissen bereit sein"

Stimmt es, dass die SPD sie umwirbt? Dass Sie sich mit Martin Schulz treffen, dem SPD-Spitzenkandidaten für Europa?

Ich rede mit Martin Schulz nur über inhaltliche Dinge. Ein Wechsel kommt für mich nicht in Frage. Ich kämpfe um diese Partei.

Wie wollen Sie diesen Kampf führen, wenn Sie nicht mehr in Funktionen gelassen werden?

Ich bin in meinem Wahlkreis in der Lausitz zur Bundestagswahl aufgestellt worden, und ich habe politische und publizistische Möglichkeiten.

Ist Lafontaine das größte Problem für die Linke?

Nein, ich spreche die gesamte Parteiführung an. Sie hat für mich die programmatische Klärung, die Kulturfrage und das strategische Profil der Partei im gesamten gesellschaftlichen System nicht beantwortet. Im Bundestagswahlprogramm wird das nur fortgesetzt.

Die Entwürfe sind ja auf starken Widerstand gestoßen, daraufhin hat Gregor Gysi gesagt, ein Programm liest sowieso keiner. Das ist für mich Ausdruck dafür, dass man weder intellektuell noch politisch bereit ist, um die Klärung zu kämpfen. Aber das Programm ist noch nicht beschlossen, deshalb gibt es noch alle Möglichkeiten.

Verstehen Sie, dass viele Leute sagen, die Linke ist populistisch?

Insgesamt denke ich tatsächlich, dass zum Beispiel unser Europaprogramm sehr widersprüchlich ist. Wir fordern eigentlich einen europäischen Superstaat und lehnen ihn gleichzeitig ab. Dasselbe sieht man jetzt bei der Finanzkrise: Wir sind sehr gut in der Kritik und sind zu schwach, den Wählern unsere Alternativen zu zeigen. Das Konstruktive ist zu schwach ausgeprägt.

Wir brauchen deutliche gesellschaftliche Alternativen, auch gegenüber der SPD, aber wir müssen gleichzeitig auch zu pragmatischer Realpolitik, zu Kompromissen bereit sein.

Wann ist für Sie persönlich die Grenze erreicht?

Ich habe großen Durchhaltewillen und großen Optimismus.

Interview: Annette Zoch

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