"Ich war halt der Erste" - Zwei Jahre auf Bewährung für Siemens-Manager

Reinhard S., der Architekt der schwarzen Kassen bei Siemens, packt aus - und kommt mit einer Bewährungsstrafe davon. Wer ist der nächste?
von  Abendzeitung
Reinhard S. vor dem Landgericht München
Reinhard S. vor dem Landgericht München © dpa

MÜNCHEN - Reinhard S., der Architekt der schwarzen Kassen bei Siemens, packt aus - und kommt mit einer Bewährungsstrafe davon. Wer ist der nächste?

Am Ende kann Reinhard S. dann doch lächeln, wenn auch bitter. „Ich bin erleichtert, dass es endlich vorbei ist", sagt der Ex-Siemens-Direktor, als er den Sitzungsraum A 101/l im Münchner Justizzentrum verlässt. Eine halbe Stunde zuvor hat Richter Peter Noll das Urteil über S. verkündet: schuldig. Wegen Untreue in 49 Fällen, weil er fast 50 Millionen Euro Bestechungsgelder verteilt hat. Seine Strafe: Zwei Jahre auf Bewährung und eine Geldbuße von 108 000 Euro.

Damit ist der Plan von Reinhard S. aufgegangen: Er muss nicht ins Gefängnis. Im Gegenzug hat er den Münchner Staatsanwälten geholfen, den größten Korruptionsskandal der Nachkriegsgeschichte aufzuklären. S., der „Bankier" des Korruptionssystems – so beschreibt ihn sein Anwalt – gewährte den Ermittlern Einblick in das System der schwarzen Kassen. Ohne ihn und seine beiseite geschafften Aktenvermerke, Schriftstücke und E-Mails hätten sie niemals so akribisch aufdecken können, wie der Elektrokonzern in Afrika, Asien, Südamerika, Ost- und Südeuropa an Aufträge kam.

An einem Montag im Mai war S. mit seinen Akten in den Sitzungsraum gezogen – an diesem Montag im Juli, nach 15 Verhandlungstagen, geht er als freier Mann wieder heraus. Und es bleibt die Frage: War dies nur der Anfang – oder gerät die Ex-Siemens-Spitze doch noch in Bedrängnis?

Scheinrechnungen für Scheinfirmen

Die Anklage gegen S. habe sich „vollumfänglich bestätigt", sagt Richter Noll. Reinhard S. war der Architekt der schwarzen Kassen für die Telefonsparte ICN. Er erfand ein System von Scheinrechnungen und fingierten Scheinfirmen. S. ging mit dem Geld willkürlich um, gewährte sogar private Kredite. Auch hatte er keine Kontrolle darüber, was mit dem Geld später geschah. Noll lapidar: „Das Geld ist weg." „Glasklarer geht's eigentlich nicht", sagt er zu S. Der hatte schon am ersten Verhandlungstag alles gestanden.

"Ob und wer wann genau vom Zentralvorstand was angeordnetet hatte, ist in diesem Prozess nicht genau festgestellt worden", sagt Noll. Dennoch ist er sicher: Der Auftrag zur Bestechung kam von S.' Vorgesetzen. Auch Ex-Siemens-Chef Heinrich von Pierer und Ex-Finanzvorstand Heinz-Joachim Neubürger im Prozess als Zeugen geladen. Beide hatten auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht verwiesen und waren nicht erschienen. „Man hätte es gut gefunden, wenn die Verantwortlichen auch Verantwortung gezeigt hätten", kritisiert Noll.

Dann zählt er all die Indizien auf, die im Prozess gegen die Siemens-Spitze zutage gefördert wurden:

S. selbst hatte bei seinem Geständnis gesagt: „Der komplette Bereichsvorstand war natürlich informiert", auch der Zentralvorstand soll in seine Schmier-Tätigkeiten eingeweiht gewesen sein. Das Schmiergeld hingegen sei ebenfalls mit dem Segen der Chefs angewiesen worden – nur unterschrieben diese auf gelben Post-It-Zetteln, die später entfernt werden konnte.

Ex-Siemens-Korruptionsbekämpfer Albrecht Schäfer hatte ausgesagt, dass er sowohl Neubürger als auch die Vorstände Thomas Ganswindt und Jürgen Radomski über Korruption informiert hätte. Richter Noll über die Schäfers Arbeit: „Wie eine Feuerwehr, die mit einem Zahnputzbecher ausgestattet wurde."

Der heutigen Siemens-Finanzvorstand Joe Kaeser hatte im Prozess die Korruption damit begründet, dass die frühere Konzernführung „Kontrollen fragmentiert" habe.

Und da war der Wirtschaftsprüfer, der vor Gericht berichtet hatte, dass er von Ex-Vorstand Neubürger fertiggemacht wurde, nachdem er Korruption offengelegt hatte.

Nolls Fazit: „Da drängt sich auf, dass der Verdacht, dass der Zentralvorstand wusste, was Herr S. tut, richtig sein könnte." Im Unternehmen liege eine „jahrelang organisierte Unverantwortlichkeit und ein erodiertes Unrechtsbewusstsein" vor. Auch gab es im Fall S. ein „System augenzwinkernde Zustimmung".

Von der Firma fallen gelassen

Reinhard S. wird dies nicht mehr helfen. Seine Firma, für die er zum Verbrecher wurde, ließ ihn fallen. Er sei ein „Siemensianer alten Schlages", bescheidet ihm sein Richter. Als S. das Justizzentrum verlässt, sagt er zu seinem Urteil: „Ich war halt der Erste." Von dem einen oder anderen sei er enttäuscht. „Ich hätte mir mehr Solidarität gewünscht." Auf die Frage, wer noch alles vor Gericht gehört, sagt er: „Schau mer mal..."

Als Sieger steht am Ende die Münchner Staatsanwaltschaft da. Oberstaatsanwalt Anton Winkler wirbt: Umfassend auszupacken sei der „einzige Weg", noch mit einer Bewährungsstrafe davonzukommen. Derzeit laufen gegen rund 300 Beschuldigte Ermittlungen, darunter die früheren Zentralvorstände Neubürger, Jung, Ganswindt und Sharef. Gegen Ex-Konzernchef und Aufsichtsratschef von Pierer läuft ein Ordnungswidrigkeitsverfahren. Staatsanwalt Winkler droht ihm: „Ein Strafverfahren kann durchaus noch kommen. Hier sind wir noch lange nicht am Ende."

Volker ter Haseborg

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