"Ich stand auf der größten Elektroschrott-Müllhalde"

Entwicklungsminister Gerd Müller und Peter Kurth, Experte für Entsorgungswirtschaft, kämpfen gegen Plastikmüll – in Afrika und in Deutschland.
Martin Ferber |
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Gerd Müller auf der Müllhalde in Ghana.
Kay Nietfeld/dpa Gerd Müller auf der Müllhalde in Ghana.

Gerd Müller (CSU) ist seit 2013 Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Peter Kurth (r.) ist seit 2008 Präsident des Bundesverbandes der Entsorgungs-, Wasser- und Rohstoffwirtschaft (BDE); seit 2009 auch Vizepräsident der Europäischen Föderation der Entsorgungswirtschaft.

AZ: Herr Minister, wenn Sie in Afrika oder Asien unterwegs sind, haben Sie dort den Eindruck, dass diese Länder die Müllkippe der entwickelten Länder sind?
Gerd Müller: Wir leben in einer „Externalisierungsgesellschaft“. Heißt, wir holen Ressourcen und Rohstoffe möglichst billig aus Entwicklungsländern, bauen darauf unseren Wohlstand auf und liefern unsere gebrauchten Geräte zurück, vieles davon als Schrott. Die Industrieländer machen nur 20 Prozent der Weltbevölkerung aus, verbrauchen aber 80 Prozent der Ressourcen und hinterlassen zwei Drittel der Umweltverschmutzung. Ich stand auf der größten Elektroschrott-Müllhalde Afrikas in Ghana. Da kommen Computer, Mikrowellenherde, Kühlschränke und andere Elektrogeräte auch aus Deutschland an, was eigentlich verboten ist.

Wer schuftet dort?
Auf dieser Müllhalde arbeiten tausende junge Menschen, die beim Zerlegen dieser Geräte ungeschützt giftige Dämpfe einatmen oder mit Säuren in Berührung kommen. Ich habe das vor zwei Jahren zum ersten Mal gesehen, es musste etwas geschehen. Bei meinem letzten Besuch vor drei Wochen haben wir eine neue Arbeitshalle eingeweiht, in der bis zu 10.000 junge Menschen in professionellem Recycling ausgebildet werden und einen Job finden.

"Deutsche Recyclingtechnick ein Exportschlager"

Herr Kurth, wenn Plastikabfälle ein Rohstoff sind, warum landet so viel Müll in den Weltmeeren?
Peter Kurth: Viele Schwellenländer und Länder der sogenannten Dritten Welt haben ihr Konsumverhalten geändert. So ist zum Beispiel in Vietnam der Gebrauch von Wasserflaschen aus Plastik gang und gäbe. Gleichzeitig haben diese Länder keine Entsorgungsstrukturen, das heißt entweder kaum oder nur unzureichende Sammlung von Abfällen. Diese landen, wenn überhaupt, in unzureichend gesicherten Deponien, der Wind, der Regen oder spätestens der Monsun treiben den Dreck ins Meer.

Wäre das ein Exportschlager für die deutsche Wirtschaft, in diesen Ländern Recyclingbetriebe aufzubauen?
Kurth: Deutsche Recyclingtechnik ist längst ein Exportschlager. Wir haben 25 Prozent des Weltmarktanteils. Aber hier geht es nicht um Hochtechnologie, sondern schlicht um Presscontainer. Wir wollen aus den Kunststoffabfällen Ballen machen, die 600 bis 800 Kilogramm schwer sind, und damit auch über ein paar Monate gelagert werden können, ohne dass sie vom Wind verweht werden und besser transportiert werden können.

Müller: Das ändert aber nichts daran, dass in Europa die Recyclingquoten deutlich steigen müssen. Zweitens muss der Ausstieg aus „klassischem“ Plastik hin zu wiederverwendbaren Verpackungsstoffen kommen. Und drittens muss die Industrie nicht immer neue Wohlstandsideen wie Kaffeekapseln erfinden. Allein in Deutschland verbrauchen wir mehrere Milliarden Kapseln im Jahr, wovon nur ein geringer Teil recycelt wird. Sie verursachen einen Müllberg von 6.000 Tonnen. Durch die zusätzliche Aluminium- und Plastikproduktion wird so viel CO2 ausgestoßen, wie von zehntausenden Pkw im Jahr. Genauso überflüssig ist das Mikroplastik, das in den letzten Jahren in Duschgel oder Haarshampoo beigemischt wurde. Dafür gibt es längst Ersatz aus biologisch abbaubarer Zellulose.

Rewe, Coca-Cola und Aldi stellen sich um

Die Recyclingquoten werden erhöht. Bislang mussten 36 Prozent der Plastikabfälle wiederverwertet werden, bis 2022 soll der Anteil auf 63 Prozent steigen. Ist das machbar?
Kurth: Das ist zu schaffen. Wir sammeln und sortieren schon heute in einem erheblichen Umfang. Beim Sortieren sind wir längst über 70 Prozent. Erschwert wird aber die stoffliche Wiederverwertung bei den Kunststoffen, wenn sie entweder stark verschmutzt sind oder nicht sortenrein. Wenn mehrere Kunststoffarten verwendet werden, tun wir uns mit dem Recycling schwer. Technisch ist das möglich, aber aufwendig. Und man muss jemand finden, der bereit ist, den höheren Preis für das aufbereitete Altplastik zu bezahlen. Das ist im Moment nicht der Fall. Wir als Entsorger können aus dem Material nur das herausholen, was auch drin ist.

Wer steht da in der Pflicht – die Politik oder die Hersteller?
Kurth: Beide. Es gibt eine Produzentenverantwortung, auch für die spätere Entsorgung. Immerhin, einige Player wie Rewe, Coca-Cola oder Aldi haben bereits erklärt, in einigen Jahren nur noch 100 Prozent recyclingfähige Materialien und nur noch Recycling-Kunststoff verwenden zu wollen. Da findet ein Umdenken statt. Das begrüßen wir, denn wir als Recyclingwirtschaft sind in die Kunststoff-Produktion nicht eingebunden und haben keinen Einfluss darauf, was hergestellt wird. Wir brauchen Qualität in den Recycling-Materialien und somit eine andere Art der Produktion. Das kann durch kluge Instrumente politischer Entscheidungen gefördert werden.

Müller: Das ist ganz entscheidend. Wir müssen in Kreisläufen denken – vom Anfang des Produkts bis zum Ende. Wo kommen die Ressourcen her? Wie produzieren wir nachhaltig? Wie verringern wir den Ressourcenverbrauch? Und wie verwerten wir die Stoffe wieder? Wir haben in Deutschland langsam begriffen, dass Müll ein Wertstoff ist. Unser Ziel muss es jetzt sein, den Anteil wiederverwertbarer Stoffe ganz erheblich zu erhöhen und den nicht wiederverwertbaren Müll deutlich zu reduzieren.

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