Hubertus Heil im AZ-Interview: "Wir sind nicht bei Hofe"
Der SPD-Generalsekretär über die miserablen Umfragewerte, den Watte-Wahlkampf der Union, Ulla Schmidt, Guttis Attacken – und darüber, ob Kurt Beck der bessere Kanzlerkandidat wäre .
AZ: Herr Heil, aktuelle Umfragen sehen die SPD zwischen 22 und 24 Prozent. Riecht nach Debakel.
HUBERTUS HEIL: Das tut es nicht. Umfragen sind immer Momentaufnahmen. Viele Menschen haben sich noch nicht festgelegt, ob sie zur Wahl gehen und wen sie wählen. Wir werden deutlich machen, wofür die SPD steht. Dass wir dafür kämpfen, dass Menschen in Arbeit sind, von der sie leben können. Dass wir mit dem Deutschland-Plan ein klares Konzept für die Zukunftsfähigkeit unseres Landes haben.
Aber die Union will nicht auf den Deutschland-Plan Ihres Kanzlerkandidaten anspringen. Der Wahlkampf verläuft bislang seltsam wattig...
Dieser Eindruck entsteht, weil CDU und CSU vernebeln, was Schwarz-Gelb mit Deutschland vor hat. Aber die Menschen haben ein sehr feines Gespür dafür, was da abläuft. Es geht am 27. September um handfeste Entscheidungen über den Alltag der Bürger, etwa in der Gesundheitspolitik: Union und FDP wollen das Gesundheitswesen privatisieren, wir dagegen wollen unser solidarisches System erneuern, damit Gesundheit nicht zum Luxusartikel wird. Wir stehen vor einer Richtungsentscheidung. Ich glaube, dass die Mehrheit der Menschen in Deutschland sozialer denkt als Guido Westerwelle, wirtschaftlich vernünftiger ist als Oskar Lafontaine und in der Energie- und Bildungspolitik fortschrittlicher als die CSU. Wer eine moderne und soziale Politik will, muss SPD wählen.
Aber die SPD hat ein Glaubwürdigkeitsproblem: Sie regiert seit elf Jahren, stellt den Vizekanzler – und verspricht jetzt eine andere Politik.
Sozialdemokraten haben im letzten Jahrzehnt unser Land verantwortlich erneuert und dafür gesorgt, das Deutschland ein Sozialstaat bleiben konnte. Für das neue Jahrzehnt gilt: Deutschland kann mehr und muss mehr erreichen, um Wohlstand und Lebenschancen für alle zu schaffen. Übrigens: Es glaubt doch kein Mensch, dass Frau Merkel mit Schwarz-Gelb die Politik fortsetzen würde, zu der sie gegenwärtig von starken SPD-Ministern gedrängt wird. Die SPD ist ganz klar der Motor dieser Koalition. Aber Deutschland kann noch besser laufen, wenn Sozialdemokraten wieder am Steuer sitzen.
Und dafür buhlen sie mit der Union um die Gunst von Guido Westerwelle. Jeder will plötzlich mit der FDP ins Koalitionsbett steigen...
Ich kämpfe im Wahlkampf nicht für eine Koalition, sondern für klare sozialdemokratische Überzeugungen.
Kaum jemand glaubt der Union ihr Versprechen, nach der Wahl Steuern zu senken. Laufen Sie nicht in dieselbe Falle, indem Sie bis 2013 Vollbeschäftigung versprechen?
Wir haben ein ebenso ehrgeiziges wie realistisches Ziel für 2020 vorgelegt. Ich glaube, dass Deutschland das Potenzial für die gute Arbeit von morgen hat. Hierfür gilt es, die richtigen Weichen zu stellen. Das betrifft die modernen Jobs in der Exportindustrie, aber auch die sozialen Berufe in Bildung, Erziehung, Pflege. Es ist viel Arbeit da. Wenn wir uns mit Massenarbeitslosigkeit abfinden würden, hätte Deutschland in zehn Jahren insgesamt noch größere Probleme.
Die SPD möchte gerne über gute Arbeit reden, die Menschen reden aber derzeit lieber über Ulla Schmidts Dienstwagen-Nutzung. Verhagelt das Ihren Wahlkampf?
Der Vorgang ist vom Bundesrechnungshof aufgeklärt worden, jetzt muss auch mal Schluss sein.
Aber froh waren Sie nicht über den Vorgang...
FDP und Union wollen diese Debatte weiter kochen, um davon abzulenken, dass sie unser solidarisches Gesundheitssystem privatisieren zu wollen.
Die Bevölkerung hingegen scheint mehr Gefallen an Horst Schlämmer und den Spaßparteien zu finden.
Hape Kerkeling ist witzig und Horst Schlämmer steht nicht zur Wahl. Richtig bleibt: Auch ernsthafte Politik muss nicht verbissen daher kommen.
CSU-Jungstar Karl-Theodor zu Guttenberg macht aber genau diesen Vorwurf derzeit Ihrer Partei. Sie solle im Wahlkampf mehr Anstand an den Tag legen, rüffelt er die SPD.
Herr Guttenberg ist nicht die Gouvernante der SPD. Wir sind auch nicht bei Hofe, sondern in der parlamentarischen Demokratie. Und Wahlkampf ist der Streit um die besseren Ideen und Konzepte. Wir haben klar gesagt, was wir wollen. Was haben wir denn gerade erlebt: Da wird ein Papier aus dem Wirtschaftsministerium öffentlich, in dem drinsteht, dass Union und FDP zurück zu wirtschaftsradikalen Lösungen wollen. Dann kriegt Guttenberg eine kalte Dusche aus der CDU-Zentrale und bekommt Angst vor der eigenen Courage.
Hand aufs Herz, Herr Heil: Wäre vielleicht nicht doch Kurt Beck der bessere Kanzlerkandidat gewesen?
Wir haben mit Frank-Walter Steinmeier einen hervorragenden Kandidaten. Er wird ein guter Kanzler für Deutschland sein.
jox, tan, zo