Horst Seehofer vor der CSU - "Eine Trauer- und Abschiedsrede"

MÜNCHEN - Es sollte sein Jubeltag werden. Auf die Rede des CSU-Vorsitzenden hat die Parteitagsregie alles ausgerichtet. Doch Horst Seehofer wirkt müde, die Leidenschaft in ihm ist erloschen. "Das war ja ein Jammer“, sagt danach einer aus der CSU-Spitze.
Andächtig hört Horst Seehofer zu, faltet seine Händen und verzieht keine Miene. Bei den geistlichen Worten, mit denen der Parteitag am Samstag beginnt, nimmt Kirchenrat Dieter Breit den CSU-Chef ins Gebet: Er hält ihm mit einem Gleichnis von Lukas (12, 54-57) Populismus vor und geißelte seine Ausländerpolitik: „Wer meint, konservatives Profil lasse sich dadurch gewinnen, dass man den einen recht gibt und die anderen verdammt, der täuscht sich gewaltig.“ Das sitzt.
Seehofer ist eh schon angefressen, an diesem Morgen. Um neun Uhr sollte der zweite Tag des großen CSU-Treffens starten. Doch die Halle C auf der Messe München will sich einfach nicht füllen. Nach 20 Minuten beginnen die ersten Delegierten zu meutern. „Anfangen, anfangen“, schreien sie. Erlangens OB und CSU-Vorstand Siegfried Balleis motzt Vize-Generalsekretärin Dorothee Bär an: Was ist denn das für eine Parteitagsregie? Da fühlen sich doch alle verarscht, die pünktlich gekommen sind.“
Bär rettet sich mit einer Notlüge: „Die Pfarrer müssen sich erst noch umziehen.“ Die aber stehen längst bereit. Da kommt Parteichef Seehofer an seinen Platz: „Gutti, Gutti, Gutti,“ giftet er. „Der ist auch noch nicht da. Wir können nicht anfangen, wenn die Halle noch halb leer ist.“
Dabei sollte der Samstag sein Jubeltag werden. Nur auf die Rede des Vorsitzenden hat die Parteitagsregie alles ausgerichtet. Demütig spricht Seehofer zu seiner Partei, die ihn längst zur Nummer zwei hinter Karl-Theodor zu Guttenberg abgestempelt hat. Ruhig und bedächtig, manchmal fast flehentlich wendet er sich an die Delegierten, als säße er in einem Beichtstuhl und warte darauf, dass er am Ende die Absolution erteilt bekommt.
Seehofer schaut nicht nach vorne, sondern zurück: Es ist eine Bilanz, die er zieht. Wo Bayern gestanden habe, als er vor zwei Jahren angetreten sei: „Der Beginn der Finanzkrise, der Wirtschaftskrise, was wurde da alles an die Wand gemalt ein Heer von Arbeitslosen, Geldentwertung, Firmenchefs, die in die Staatskanzlei kamen, sie können keine Autos mehr verkaufen.“ Und jetzt? „Wir stehen auf allen Feldern auf der Poleposition.“ Seehofer erzählt von damals, von Quelle. „Was bin ich bespöttelt worden mit dem Quellekatalog.“ Inzwischen habe er zwei Quellemitarbeiterinnen getroffen, die nun beim Statistischen Landesamt arbeiten. Die haben zu ihm gesagt: „Danke, Sie haben Wort gehalten“. Seehofer gerührt: „Das ist die schönste Anerkennung, die ich überhaupt bekommen habe.“
Er spricht von Vermächtnissen - von dem von Franz Josef Strauß für die CSU, als wolle er der Partei nun auch seines verkünden. „Lasst Euch nicht einreden, wir gewinnen keine Wahl mehr, wir müssen darüber reden und uns nicht selber anklagen“, appelliert er an die Delegierten. Und: „Selbstbewusstsein und nicht Selbstgeißelung soll uns in den nächsten Monaten begleiten.“
Der Vorsitzende streichelt die Seele der Partei in der Landesbank-Affäre: „Da wird die CSU-Familie zusammenhalten. Wir werden aufklären ohne Vorverurteilung und Kesseltreiben.“ Seehofer jammert, immer „der Missverstandene“ zu sein: „Das erlebe ich jetzt zum zigten Male.“
Er wirkt müde. Die Leidenschaft in ihm ist erloschen. Er bedankt sich „für das Zusammenstehen“ und gibt seiner Partei für die Zukunft mit: „Wir müssen verliebt sein ins Gelingen.“ Wo er sie hinführen will, sagt Seehofer nicht mehr. Minutenlang bedanken sich die Delegierten bei ihm mit Applaus. Seehofer schickt seinen Sprecher zu den Journalisten. Eine Partei die ihrem Chef so viel Beifall spende, wolle ihn doch nicht stürzen, versucht er Stimmung zu machen.
In die Kameras sagen die Parteigranden und Delegierten unisono: „Es war ein gute Rede.“ Sie seien zufrieden. Sind die Kameras weg, kommen ganz andere Töne. „Er hat keine Ideen mehr“, sagt einer aus dem CSU-Vorstand zur AZ. Ein anderer aus der CSU-Spitze bringt es auf den Punkt: „Das war ja ein Jammer! Wir haben gerade eine Trauer- und Abschiedsrede gehört.“
Angela Böhm
Das Gleichnis von Lukas (12, 54-57)
Jesus sprach zu der Menge:
Wenn ihr eine Wolke aufsteigen seht vom Westen her, so sagt ihr gleich:
Es gibt Regen und es geschieht so.
Und wenn der Südwind weht, so sagt ihr:
Es wird heiß werden. Und es geschieht so,
Ihr Heuchler!
Über das Aussehen der Erde und des Himmels könnt ihr urteilen;
warum aber könnt ihr über diese Zeit nicht urteilen?
Warum urteilt ihr nicht auch von euch aus darüber, was recht ist?