Horst Köhler stimmt Deutschland auf harte Zeiten ein
BERLIN - Bundespräsident Horst Köhler hat die Deutschen auf harte Zeiten eingestimmt. In seiner Berliner Rede bezeichnete das Staatsoberhaupt die Wirtschafts- und Finanzkrise am Dienstag als „Bewährungsprobe für die Demokratie“.
Die Arbeitslosigkeit werde deutlich steigen. Um die Krise zu überwinden, sei ein tiefgreifendes Umdenken nötig. Der Markt allein könne die Dinge nicht richten. „Es braucht einen starken Staat, der dem Markt Regeln setzt und für ihre Durchsetzung sorgt“, verlangte Köhler. Der Bundespräsident appellierte an die Bundesbürger, sich neue Ziele zu setzen, auf Nachhaltigkeit zu achten und Sparsamkeit als Ausdruck von Anstand zu verstehen. „Wir dürfen uns nichts vormachen: Die kommenden Monate werden sehr hart“, sagte Köhler vor mehreren hundert Gästen in der Berliner Elisabethkirche. „Wir werden Ohnmacht empfinden und Hilflosigkeit und Zorn. Aber es gab auch noch nie eine Zeit, in der unser Schicksal so sehr in unseren eigenen Händen lag wie heute.“ Die große Chance der Krise bestehe darin, dass jetzt alle erkennen könnten: „Die Menschheit sitzt in einem Boot.“ Nötig sei eine „ökologische industrielle Revolution“, aber auch ein neues Miteinander, mehr Aufmerksamkeit, Mitgefühl und Zuwendung. „Ich finde, wir sollten uns neue Ziele setzen auf unserer Suche nach Erfüllung.“
Union und SPD vor „Schaukämpfen“ gewarnt
Lob äußerte der Bundespräsident für das Krisenmanagement der Großen Koalition. „Bundesregierung und Bundestag haben in den vergangenen Monaten Handlungsfähigkeit bewiesen und kurzatmigen Aktionismus vermieden“, sagte er. Die Politik habe schnell und entschlossen reagiert, das Wort der Regierung habe international Gewicht. Auch wenn niemand zurzeit fertige Rezepte habe, könnten die Deutschen darauf vertrauen: „Die eingeschlagene Richtung stimmt.“ Köhler warnte die Parteien aber davor, die Krise zu Wahlkampfzwecken zu missbrauchen. Das Ringen um die beste Lösung gehöre zur Demokratie. „Auch im Vorfeld einer Bundestagswahl gibt es aber keine Beurlaubung von der Regierungsverantwortung“, sagte er. Die Bevölkerung habe gerade in der Krise Anspruch darauf, dass ihre Regierung geschlossen handele. „Die Krise ist keine Kulisse für Schaukämpfe. Sie ist eine Bewährungsprobe für die Demokratie insgesamt.“
„Der Markt braucht Regeln und Moral“
Köhler vertrat die Ansicht, Deutschland komme als größter Volkswirtschaft in der EU eine Führungsrolle bei der Bekämpfung der Finanzkrise zu. Nötig sei eine neue Finanzmarktordnung, die bessere Regeln, effektive Aufsicht und wirksame Haftung garantiere. „Der Markt braucht Regeln und Moral.“ Der frühere Chef des Internationalen Währungsfonds schloss auch staatliche Beteiligungen nicht aus, wenn es um die Rettung von Banken geht. Im Ringen um die Zukunft von Opel äußerte er sich aber vorsichtiger. Die Opel-Ingenieure seien gut, sie hätten weit in die Zukunft gearbeitet. „Darin möchte ich Hoffnung für Opel sehen“, sagte Köhler. „Und in der Bereitschaft von Arbeitnehmern und Vorstand zum vertrauensvollen Miteinander jenseits aller Schablonen auch.“
„Wir haben über unsere Verhältnisse gelebt“
Der Politik gab Köhler eine Mitverantwortung für die Krise, da sie die Staatsverschuldung lange Zeit trotz steigenden Wohlstands immer weiter erhöht habe. „Man stellte Wechsel auf die Zukunft aus und versprach, sie einzulösen. Das ist bis heute nicht geschehen“, kritisierte der Bundespräsident. „Wir haben alle über unsere Verhältnisse gelebt.“ Gerade in der Krise bestätige sich der Wert der Sozialen Marktwirtschaft, die Freiheit und Verantwortung zum Nutzen aller vereinige. Dass nun auch US-Präsident Barack Obama für sein Land ein Modell anstrebe, das in Grundzügen dem deutschen Modell der Sozialen Marktwirtschaft ähnele, zeige: „Die Deutschen haben etwas anzubieten beim Aufarbeiten der Krise.“