Horst, der Sonderbare

Horst Seehofer traut sich in der CSU nichts mehr durchzusetzen. Probleme über Probleme plagen den Ministerpräsidenten. Die Basis hat ihn schon entmachtet
MÜNCHEN Zum Feiern ist Horst Seehofer derzeit nicht zumute. Während sich Millionen auf dem Münchner Oktoberfest amüsieren, hat er sich mit seiner CSU-Fraktion 265 Kilometer entfernt hinter dicken Klostermauern zurückgezogen. Im oberfränkischen Banz, hoch über den Obermain, wo einst die Gemeinschaft der heiligen Engel residierte, schickt der CSU-Chef vier Tage lang immer wieder Stoßgebete gen Himmel. Denn Seehofer merkt, seine Macht in der Partei bröckelt.
Noch nie zeigte er sich in der Öffentlichkeit so niedergeschlagen und grantig, wie in der vergangenen Woche. In der Politik mangelt es ihm an Mut. Seine Partei befindet sich weiter auf Sinkflug. War die CSU einst das Abbild der Bayerischen Gesellschaft, so hat sich die Lebenswirklichkeit der Menschen weiterentwickelt, die CSU aber ist stehen geblieben. Seehofer hat Probleme über Probleme: mit seiner Partei, mit den Frauen, mit dem Sparen, mit der Wehrpflicht – und mit sich selbst.
50-Prozent-Marke: Die ist längst Geschichte. Hatte Seehofer bei der letzten Landtagswahl die Latte für seinen Vorgänger noch extra hoch auf 52 Prozent gehängt, so muss die CSU unter ihm jetzt schon die magische Schwelle auf 40 Prozent legen. Nicht mal die würde sie derzeit erreichen, wenn Wahlen wären. Die CSU ist in den Umfragen bei für sie unvorstellbaren 38 Prozent gelandet. Wie lange macht die Partei das noch mit?
Frauen: Die Quote hat Seehofer völlig falsch eingeschätzt. Fast ein Jahr lang hatte er den CSU-Frauen Hoffnung gemacht, bei den Männern aber nicht dafür geworben. Jetzt ist er zu feige, sich durchzusetzen.
Seehofer weiß ganz genau, dass ihn die CSU-Männer eiskalt über die Klinge springen lassen, wenn er ihnen 40 Prozent Frauen verordnet. Auch einen Minimalkompromiss lehnen sie ab und organisieren den Aufstand. Dabei laufen der CSU die Wählerinnen davon, vor allem die jungen Frauen unter 35 Jahren. Doch die Männerpartei will daraus nix lernen.
Sparen: Noch vor ein paar Wochen wollte Seehofer Schulden machen und sich vom ausgeglichenen Haushalt verabschieden: aus Angst, es könnte ihm so ergehen wie Stoiber nach dessen Sparwelle. Den sparwütigen CSU-Haushältern verbot er sogar das „Maul“. Jetzt will er doch Sparen nach der Rasenmäher-Methode. CSU-Sozial- und Schulpolitiker fürchten nun um Kinderkrippen und Lehrer.
Wehrpflicht: Allen Vorurteilen, dass er sprunghaft und unberechenbar sei, wurde Seehofer hier gerecht. Er wollte sich bei den Konservativen einschmeicheln und erklärte die Wehrpflicht für einen Grundpfeiler der CSU. Doch die Parteibasis ließ in schnell spüren, dass sie blindlings ihrem neuen Heilsbringer Karl-Theodor zu Guttenberg folgt. Der Verteidigungsminister hat wenigstens eine klare Linie. Da schwenkte auch Seehofer um.
Seehofer: Das alles zerrt an seinen Nerven. Beim Oktoberfest in Berlin grantelte er rum. Bei seiner Laudatio für den „Gastronom 2011“ demonstrierte er, dass er zu den Männern von gestern gehört und gestand, während er seine Frau Karin Hilfe suchend anschaute, dass er nichts kochen kann. Beim Anzapfen auf der Wiesn benahm er sich, als ob er nicht dazugehören würde: lustlos und wortkarg. Als stünde sein politisches Ende schon bevor.
Angela Böhm