Hofreiter zu Jamaika-Aus: "Über Patrick Lindners Motive kann man nur rätseln"

Der grüne Fraktionschef über die einsame Entscheidung der Liberalen, böse Gerüchte, schwere Kompromisse und die Zukunft.
Interview: Natalie Kettinger |
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Anton Hofreiter, Fraktionschef der Grünen, radelt zum Bundestag.
dpa Anton Hofreiter, Fraktionschef der Grünen, radelt zum Bundestag.

München/Berlin - Die AZ hat mit Anton Hofreitergesprochen: Der Münchner (47) ist Fraktionschef der Grünen und war an den Sondierungsgesprächen beteiligt.

AZ: Herr Hofreiter, woran ist Jamaika Ihrer Meinung nach letztendlich gescheitert?
Anton Hofreiter: Am mangelnden Willen der FDP. Die FDP hätte den Abbau des Solidaritätszuschlages, viel in der Bildung und Digitalisierung, ein Einwanderungsgesetz und vieles mehr bekommen können. Lindner kann keinen Grund in der Sache nennen. Über seine Motive kann man nur rätseln.

Welche Schuld trägt die Bundeskanzlerin?
Keine entscheidende. Es war von Anfang an eine sehr schwierige Konstellation. Wenn dann ein Partner gar nicht richtig will, kann man kaum was machen.

Union und FDP haben den Grünen vorgeworfen, eine Einigung bei den Themen Migration und Klimaschutz blockiert zu haben. Was sagen Sie dazu?
Das ist Quatsch. Beide Themen waren sowohl mit der FDP als auch mit CSU und CDU sehr schwierig. Für uns waren ernst gemeinter Klimaschutz, der Kohleausstieg, der beschleunigten Ausbau der Erneuerbaren essenziell. Und natürlich die Humanität in der Flüchtlingspolitik. Wir waren dennoch bereit, auch bei diesen Themen bis an unsere Schmerzgrenzen zu gehen. Wir waren bereit, mit einem atmenden Rahmen von 200 000 Flüchtlingen pro Jahr auf die Union zuzugehen. Wir waren bereit, über die Ausgestaltung des Kohleausstiegs zu reden. Und wir hätten hier auch zu Lösungen kommen können.

Die CSU kolportierte zeitweise, die Grünen hätten einer Ausweitung der sicheren Herkunftsländer und der Einführung von bundesweiten "Abschiebezentren" zugestimmt. Ist das korrekt?
Das ist so eindeutig falsch, aber solche Gerüchte gehören wohl leider zum Spiel dazu. Es ist natürlich interessant, uns einerseits Blockade vorzuwerfen, nur um dann wiederum angebliche Kompromissangebote zu lancieren. Fakt ist: Wir Grüne waren bereit, in der Flüchtlingspolitik Humanität und Ordnung zusammenzubringen. Wir waren nicht bereit, uns den menschenrechtlich schwierigen und teils inhumanen Vorstellungen der CSU und der FDP in der Flüchtlingspolitik einfach anzuschließen.

Die Grünen sind bei der Dieselsteuer, der Abschaltung der Kohlekraftwerke und dem Ende des Verbrennungsmotors eingeknickt – wäre das der Parteibasis überhaupt zu vermitteln gewesen?
Natürlich hätten wir da einige schwierige Debatten gehabt. Aber vielen wäre bewusst, dass es einen Unterschied gibt zwischen der grünen Position und einem Kompromiss, den man in einer Koalition machen müsste. Wir waren dazu bereit, weil wir unsere Verantwortung ernst meinen. Entscheidend wäre für uns als Sondierungsgruppe das Gesamtergebnis gewesen. Da hätte genug Grün drinstecken müssen, vom Klimaschutz über soziale Gerechtigkeit bis zu einer progressiven Europapolitik. Das hätte im Rahmen eines wirklich schwierigen Kompromisses klappen können. Aber vorher hat die FDP hingeschmissen.

Hätten die Liberalen weitergemacht – wäre Jamaika dann nicht vielleicht auf der Bundesdelegiertenkonferenz Ihrer Partei am Samstag geplatzt?
Joschka Fischer hat mal gesagt: Politik findet nicht im Konjunktiv statt.

GroKo, Minderheitsregierung – womöglich mit grüner Beteiligung – oder Neuwahlen: Welche Variante halten Sie momentan für die wahrscheinlichste?
Der Ball liegt nicht in unserem Spielfeld. FDP und SPD müssen entscheiden, ob sie bei ihrer Verweigerungshaltung bleiben. Sonst wird es wohl auf Neuwahlen hinauslaufen.

Alle News zum Jamaika-Aus finden Sie hier im AZ-Newsblog

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