Hofreiter: „Soll an den Grenzen wieder geschossen werden?“

Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter erklärt im Interview, warum er die Debatte über Obergrenzen für sinnlos hält.
von  Florian Zick
Anton Hofreiter hält die Debatte um die Obergrenze für Schaufensterpolitik, denn was soll man tun, wenn diese Grenze erreicht ist: "Sollen wir Kinder, Frauen und Männer dann mit Gummiknüppeln abwehren?"
Anton Hofreiter hält die Debatte um die Obergrenze für Schaufensterpolitik, denn was soll man tun, wenn diese Grenze erreicht ist: "Sollen wir Kinder, Frauen und Männer dann mit Gummiknüppeln abwehren?" © dpa

München - Österreich will im Jahr künftig nur noch ein bestimmtes Kontingent an Flüchtlingen ins Land lassen. Auch die CSU dringt vehement auf eine solche Obergrenze. Im Gespräch mit der AZ erklärt Anton Hofreiter, der Chef der grünen Bundestagsfraktion, was er von der Debatte hält und welche Alternativen er zu geschlossenen Grenzen sieht.

AZ: Herr Hofreiter, was halten Sie von der Obergrenze?

Anton Hofreiter: Nichts. Wie soll es die denn geben? Mich würde mal interessieren, wie Österreich das jetzt durchsetzen möchte. Nehmen wir mal an, die Obergrenze ist erreicht und jetzt steht eine syrische Familie mit zwei, drei Kindern an unserer Grenze. Die ist den Fassbomben von Assad entkommen – was machen wir jetzt mit ihnen? Wenn ich das CSUler frage, dann ist es erst immer ganz staad.

Und dann?

Dann sagen die: Wir machen halt die Grenzen dicht. Wenn man dann weiterfragt, kommt nichts mehr. Denn auch das beantwortet ja nicht, was wir mit der Familie machen! Glauben die denn wirklich, die gehen dann einfach zurück nach Syrien? Sollen Kinder, Frauen und Männer von uns mit Gummiknüppeln abgewehrt werden? Oder soll an Grenzen gar wieder geschossen werden? Das ist doch absurd! Das geht so doch nicht.

 

Kanzlerin weigert sich, weil sie es nicht ändern kann

 

Darum bleibt Kanzlerin Bundeskanzlerin Angela Merkel bei ihrem Kurs?

Die Kanzlerin weigert sich deshalb so konstant, eine Obergrenze zu nennen, weil sie weiß, dass man sie praktisch nicht durchsetzen kann. Mal ganz davon abgesehen, dass unser Grundgesetz und die Genfer Flüchtlingskonvention überhaupt keine Obergrenze kennen.

Was muss man also tun?

Es wäre schon viel gewonnen, wenn die wohlhabenden europäischen Staaten dafür sorgen würden, dass dem UN-Welternährungsprogramm dieses Jahr nicht wieder wie in all den Jahren zuvor im August, September das Geld ausgeht und die Leute in den Flüchtlingslagern anfangen zu hungern.

Das würde die Ursachen für Flucht aber auch nicht bekämpfen.

Das nicht. Aber dass jemand, der im Flüchtlingslager hungert oder dort aufs Übelste ausgebeutet wird, weiter auf die Flucht geht, ist doch logisch. Ein Mindeststandard an Humanität und Schutz in den Flüchtlingslagern würde also schon viel helfen, dass nicht ganz so viele Menschen sich gezwungen sehen, weiter zu fliehen.

 

Hofreiter: "Wir brauchen Ordnung und Struktur - Punkt!"

 

Die Debatte um die Obergrenze halten Sie also für Schaufensterpolitik.

Reine Schaufensterpolitik. Ich glaube, das ist eine Form von boshafter Naivität. Nochmal: Wenn man die Schreier fragt, was passiert, wenn die Obergrenze erreicht ist, gibt‘s keine Antwort. Die gaukeln nur eine Scheinlösung vor. CSU und AfD, aber leider auch zunehmend SPD und Linke, spielen mit dem Feuer, wenn sie von Obergrenzen fabulieren. Wer fordert, was nicht einlösbar ist, der produziert doch vorhersehbar nur Enttäuschung. Der verschärft die Stimmung, statt zur Beruhigung beizutragen.

Aber sehen nicht auch die Grünen, dass man den Zuzug irgendwie beschränken muss?

Wir brauchen Ordnung und Struktur, na klar. Aber es gilt: Wer von Leben und Tod bedroht ist, verdient Schutz. Punkt. Deshalb ist es so wichtig, dass wir zu einer solidarischen Verteilung in Europa kommen. Dass wir ernsthaft versuchen, den Krieg in Syrien zu beenden. Wir müssen die Fluchtursachen bekämpfen. Das Problem ist bloß, dass derzeit nicht die Fluchtursachen bekämpft werden, sondern de facto nur die Flüchtlinge.

Wie meinen Sie das?

Bestes Beispiel ist der Valletta-Gipfel der Europäischen Union vergangenen November auf Malta. Da wurde, leider auch maßgeblich auf deutschen Druck, das Bekämpfen von Fluchtursachen so definiert, dass man dem Diktator von Eritrea Geld dafür verspricht, wenn er die Grenzsicherung verstärkt und so dafür sorgt, dass seine Leute nicht mehr aus dem Land fliehen. Man zahlt also einen Diktator aus, der seine Bevölkerung malträtiert. Da geraten die Menschenrechte total unter die Räder.

Stattdessen müsste man doch darauf hinwirken, dass Eritrea ein politisches System bekommt, das verhindert, dass die Leute dort so brutal behandelt werden, und das zumindest in Ansätzen Wohlstand entstehen lässt. Die Menschen fliehen dort ja nur, weil die Zustände in ihren Ländern so schlimm und lebensgefährlich sind. „Ohne Russland wird sich der Syrien-Konflikt nicht lösen lassen“

 

Terroristen kann man nur politisch besiegen

 

Halten Sie unter diesen Bedingungen den Bundeswehreinsatz in Syrien für richtig?

Den IS muss man militärisch bekämpfen. Besiegen kann man die Terroristen aber nur politisch. Deshalb braucht es eine Gesamtstrategie. Daran mangelt es aber. Für mich fehlt da die Grundvoraussetzung, nämlich die Idee eines politischen Prozesses. In Syrien weiß man nicht einmal so richtig, wer da gegen wen kämpft. Da sind zu viele Parteien mit unterschiedlichen Interessen beteiligt: die Assad-Truppen, die gemäßigten Rebellen, die Russen, der IS, die Kurden ...

... also raushalten?

Auch Deutschland müsste mehr Energie in den politischen Prozess stecken, damit so ein Militäreinsatz am Ende auch wirklich erfolgreich sein kann. Jetzt einfach ein paar Flugzeuge zu schicken: Da habe ich das Gefühl, das ist so eine Art Ersatzhandlung, bei der eigentlich alle wissen, dass sie das Problem nicht löst.

Geht ein politischer Prozess ohne Assad?

Syrien kann nur eine Zukunft ohne Assad haben. Unter ihm wurden viele Menschen ermordet und gefoltert. Für mich kann er kein Verhandlungspartner für eine politische Lösung sein. Er gehört vor den Internationalen Strafgerichtshof. Aber ich fürchte, Russland würde das kaum zulassen.

Bleibt die Option: Assad erhält politisches Asyl in Russland, und einer, an dessen Händen möglichst wenig Blut klebt, wird syrischer Verhandlungspartner in einer regionalen Friedenskonferenz. Dort könnte gemeinsam mit den gemäßigten Rebellen und den syrischen Kurden eine Übergangsregierung ausgehandelt werden.

 

"Deutschland tut so, als würde wegen der Flüchtlinge die Welt untergehen"

 

Dafür wird man sich aber mit Russland einigen müssen.

Klar, wenn es nicht gelingt mit den Russen zu einer Übereinkunft zu gelangen, so dass die bereit sind, Assad rauszunehmen, wird das nicht funktionieren.

Ermüdet Sie das Thema eigentlich manchmal?

Das darf uns nicht ermüden! An der Syrienfrage hängt, wie es international weitergeht. Auch mit den Fluchtbewegungen. Was mich stört, ist, dass bei uns in Deutschland so getan wird, als würde wegen der Flüchtlinge die Welt untergehen. Der Libanon hat zum Beispiel bei drei Millionen Einwohnern zwei Millionen Flüchtlinge aufgenommen.

Das muss man sich mal vorstellen, was für eine Leistung das ist. Das ist ein armer, fragiler und selbst in Schwierigkeiten steckender Staat. Und die EU mit ihren 505 Millionen Einwohnern schafft es nicht, sich auf eine solidarische Verteilung zu einigen? Das ist schäbig und verantwortungslos.

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