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Historiker Wolffsohn über die Wirksamkeit von Demos gegen Rechts: "Eine Flucht vor der Wirklichkeit"

Wie wehrhaft ist die Demokratie? Ein Gespräch mit Michael Wolffsohn über Demonstrationen, Studentenproteste und ein AfD-Verbot als Bankrotterklärung.
von  Martina Scheffler
Der Historiker und Publizist Michael Wolffsohn im April in der ZDF-Sendung " Markus Lanz".
Der Historiker und Publizist Michael Wolffsohn im April in der ZDF-Sendung " Markus Lanz". © teutopress/imago

AZ: Herr Professor Wolffsohn, sehr viele Menschen sehen die Demokratie in Deutschland gefährdet wie noch nie seit Bestehen der Bundesrepublik. Worin sehen Sie die größte Gefahr?

MICHAEL WOLFFSOHN: Ich gehöre diesbezüglich nicht zu den Alarmisten. Parteipolitisch ist derzeit nur die AfD Systemgegner. Selbst die Wagenknechtbewegung ist "links und konservativ". Heißt also: Nur circa 20 Prozent der Deutschen wählen Systemgegner. Zu viel, aber man muss die Größenverhältnisse beachten.

Viel wurde in der Vergangenheit über ein AfD-Verbotsverfahren diskutiert. Wäre das ein richtiger Schritt?

Vor dem Stadttheater Duisburg: Teilnehmer einer Demonstration gegen Rechts unter dem Motto "Duisburg ist echt bunt" fordern Anfang März ein AfD-Verbot. Historiker und Publizist Michael Wolffsohn lehnt ein Verbot ab. Es wäre seiner Ansicht nach eine "politische Bankrotterklärung".
Vor dem Stadttheater Duisburg: Teilnehmer einer Demonstration gegen Rechts unter dem Motto "Duisburg ist echt bunt" fordern Anfang März ein AfD-Verbot. Historiker und Publizist Michael Wolffsohn lehnt ein Verbot ab. Es wäre seiner Ansicht nach eine "politische Bankrotterklärung". © Christoph Reichwein/dpa

Das wäre eine politische Bankrotterklärung der Demokraten. Entscheidend wäre es, die sachlich berechtigten Punkte der AfD aufzugreifen und deren Ursachen zu beseitigen. Besonders in der Migrationspolitik. Außerdem mehr Sachlichkeit, weniger Schaum vor dem Mund.

 

Die Demonstrationen gegen Rechtsextremismus zu Jahresbeginn wurden von Politik und Gesellschaft als Beleg für die "Wehrhaftigkeit" der Demokratie gesehen. Wie bewerten Sie das, sind Sie beruhigt oder haben Sie mehr erwartet oder erhofft, gerade in Bezug auf den zunehmenden Antisemitismus?

Teilnehmer verlassen im Januar die wegen Überfüllung abgebrochene Demonstration gegen Rechts in München über die Leopoldstraße. Als Beleg für die Wehrhaftigkeit der Demokratie sieht Historiker und Publizist Michael Wolffsohn die Demonstrationen gegen Rechts nicht.
Teilnehmer verlassen im Januar die wegen Überfüllung abgebrochene Demonstration gegen Rechts in München über die Leopoldstraße. Als Beleg für die Wehrhaftigkeit der Demokratie sieht Historiker und Publizist Michael Wolffsohn die Demonstrationen gegen Rechts nicht. © Sven Hoppe/dpa

Diese Interpretation der Wirkung jener Demonstrationen war von Anfang Wunschtraum, nicht Wirklichkeit. Autosuggestion. Sympathisch, aber naiv. Eine Flucht vor der Wirklichkeit. Und bezüglich des Antisemitismus glatter Selbstbetrug, denn judenfreundliche Bekundungen gab es bei diesen großen Demos eher selten. Demonstrieren reicht nicht, Politik korrigieren muss man. Siehe oben zur AfD.

"Erst demonstrieren und dann amüsieren reicht nicht"

Viele junge Menschen engagieren sich heute politisch, allerdings eher außerhalb der Parteien. Wie bewerten Sie diese Entwicklung?

Die mir bekannten Indikatoren bezeugen eher politische Passivität junger Menschen. Die jugendlichen Aktivisten sind nicht für "die" jungen Menschen repräsentativ. Wer zudem politisch wirklich etwas erreichen will, kommt nicht an den Parteien vorbei. Nochmals: Wer politisch korrigieren will, muss sich vor allem parteipolitisch engagieren. Erst demonstrieren und dann amüsieren reicht nicht.

Viel ist in den letzten Monaten auch wieder von der Staatsräson die Rede gewesen, die Israels Sicherheit für Deutschland bedeute. Wenn Sie auf das Gesamtgeschehen in Deutschland seit dem Überfall der Hamas am 7. Oktober blicken - sehen Sie diese Aussage mit Leben gefüllt oder sind Sie eher enttäuscht?

Enttäuscht bin ich nicht, denn ich habe nichts erwartet. Diese großen Worte hatte Angela Merkel erstmals 2008 im israelischen Parlament verkündet. Nach ihr haben viele Deutsche diese Phrase wiederholt. Ohne zu wissen, was gemeint ist. Wie könnte unsere, bis zur Scholz´schen "Zeitenwende" vom Februar 2022 besonders von der Merkel-Steinmeier-Gabriel-Koalition, total vernachlässigte Bundeswehr Israels Sicherheit garantieren? Absurd! Und bislang ist die Zeitenwende auch eher mehr Wort als Tat.

Wie muss man die derzeitigen propalästinensischen Studentenproteste bewerten - als kleine Gruppe, die gesamtgesellschaftlich keinen großen Einfluss besitzt, oder als Ausdruck der Radikalisierung der Gesellschaft, wie sie sich letztlich auch in Angriffen auf Politiker in Deutschland zeigt?

Heute ist das weltweit eine regelrechte Bewegung. Ursprünglicher Ausgangspunkt war eine Art Bürgerinitiative. Ihr Gründer war Omar Bargouthi. Seine ganze Familie ist seit jeher im militärischen und zivilen Widerstand gegen Israel aktiv. NGOs aus der ganzen Welt unterstützen sie. Zunächst vor allem die Ford-Stiftung. Ihr Gründer war der weltberühmte Autobauer Henry Ford, ein bekennender Antisemit.

Ein propalästinensisches Protestcamp an der George Washington University in Washington in den USA Anfang Mai. Die Demonstranten fordern ein Ende der Unterstützung eines angeblichen Apartheid-Systems in Israel durch die USA.
Ein propalästinensisches Protestcamp an der George Washington University in Washington in den USA Anfang Mai. Die Demonstranten fordern ein Ende der Unterstützung eines angeblichen Apartheid-Systems in Israel durch die USA. © Candice Tang/SOPA Images/imago

Seit 2011 ist der Rockefeller Brothers Fund Hauptgeldgeber. Er finanziert über pseudohumane Organisationen auch die Terrororganisationen Hamas und die Volksfront für die Befreiung Palästinas. Kurzum: Hier kann man lernen, wie man international erfolgreiche Propaganda organisiert. Selbst in Staaten, die einem nicht wohlgesonnen sind. Die meisten Akteure kommen aus dem Bereich der Geisteswissenschaften. Und hier findet man besonders viele Arabisten, Islamwissenschaftler, Ethnologen, Soziologen. Alles sozusagen weiche Fächer.

Propalästinensische Demonstranten rufen der Polizei der Universität von Chicago zu, als sie während der Auflösung des Studentenlagers in Chicago Anfang Mai vom Universitätshof ferngehalten werden.
Propalästinensische Demonstranten rufen der Polizei der Universität von Chicago zu, als sie während der Auflösung des Studentenlagers in Chicago Anfang Mai vom Universitätshof ferngehalten werden. © Charles Rex Arbogast/AP/dpa

Kaum Naturwissenschaftler und Techniker. Wir erkennen hier die totale, globale Politisierung der Geisteswissenschaften. Langfristig führt das zu ihrer Selbstabschaffung, denn sie machen sich selbst zur Dienstmagd der Politik und Ideologien.

Michael Wolffsohn (76) ist Historiker und Publizist. Er lehrte von 1981 bis 2012 als Professor für Neuere Geschichte an der Universität der Bundeswehr in München und verfasste Werke wie "Alter und neuer Antisemitismus", "Eine andere Jüdische Weltgeschichte" und "Wem gehört das Heilige Land?". Wolffsohn stammt aus einer geflüchteten jüdischen Kaufmannsfamilie, wurde 1947 in Tel Aviv geboren und kam 1954 nach West-Berlin.

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