Helmut Kohl: Glückwünsche und etwas Groll auf alte Freunde

Der heutige Karfreitag ist nicht nur einer der höchsten katholischen Feiertage, sondern gleichzeitig auch der Geburtstag des langjährigen Bundeskanzlers Helmut Kohl. Er wird 85 Jahre alt. Der Alte ist er aber nicht mehr.
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Altbundeskanzler Helmut Kohl im Jahr 2012
ddp images Altbundeskanzler Helmut Kohl im Jahr 2012

Mainz - Nein, der Alte ist er nicht mehr, obwohl er heute 85 Jahre alt wird. Dafür haben ihm die letzten Jahre einfach zu übel mitgespielt. Die Folgen eines schlimmen Sturzes haben Helmut Kohl ("Erinnerungen: 1982 - 1990") in den Rollstuhl gezwungen und seinen Sprachfluss eingedämmt. Dann der Groll auf die Nachfolger an der Parteispitze und in der Regierung, der Ärger mit den beiden Söhnen und um die Veröffentlichung des nichtautorisierten vierten Bandes der Kohl-Biografie durch den Journalisten und ehemaligen Kohl-Vertrauten Heribert Schwan. Das alles muss arg an seiner Psyche und Physis gezerrt haben.

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"Der schwarze Riese"

 

Lustig waren die letzten zehn Jahre für Altkanzler Helmut Kohl wirklich nicht. Der Mann, der einst nicht nur wegen seiner unbändigen Kraft und stattlichen Körpergröße von 1,93 Meter der "schwarze Riese" genannt wurde, ist nur noch ein Schatten seiner selbst - für viele Menschen ein bewegender Anblick. Da tut es gut, wenn er an seinem Ehrentag, der, worauf sein Büro hinwies, auf den Karfreitag und damit auf einen der höchsten katholischen Feiertage fällt, zumindest in seinem Heimatland Rheinland-Pfalz ein wenig gefeiert wird.

"Als Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland sind Sie untrennbar mit der deutschen und europäischen Einigung verbunden", schreibt Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) in ihrem Gratulationsbrief. Die CDU-Landesvorsitzende Julia Klöckner, eine ehemalige Weinkönigin und glühende Kohl-Verehrerin, wird dem Jubilar in seinem Haus in Ludwigshafen-Oggersheim ihre charmante Aufwartung machen. Und die Junge Union wird ihm das "größte Ständchen Deutschlands" bringen - in Form eines zusammengeschnittenen Videos, auf dem 700 Menschen "Zum Geburtstag viel Glück" singen. Das ist alles. Keine rauschende Geburtstagsfeier der Partei für ihren Größten. Später, im Sommer, soll ein Symposium zu seinen Ehren stattfinden, über das er generös verlauten ließ, dass er sich darauf freue. "Den Geburtstag selbst verbringt Dr. Helmut Kohl im privaten Kreis", teilt die Konrad-Adenauer-Stiftung mit.

 

Will er es so?

 

Eine Stiftung mit seinem Namen existiert nicht. Es gibt zwar eine Hannelore-Kohl-Stiftung, die nach seiner verstorbenen Frau benannt wurde und Verletzte mit Schäden des zentralen Nervensystems betreut. Doch mit der will er seit Jahren nichts mehr zu tun haben, "aus Protest gegen ein Kuratorium, das es wagt, sich seinen Wünschen zu widersetzen", wie die "Süddeutsche Zeitung" 2010 berichtete. Nun kümmern sich die Söhne um die Stiftung ihrer Mutter. Vermutlich will Kohl diese Form von Isolation selbst so. Er, zu dem (fast) alle aufschauten und der früher seine politische Omnipotenz so gern bewundern und feiern ließ, hat sich, so scheint es, als grimmiger Senior zurückgezogen.

 

Er überragte sie alle

 

Er hat sie immer alle überragt, und das nicht nur durch seine Körpergröße. Mit 39 war er der jüngste Ministerpräsident, ein aufbruchfreudiger Politiker, der sein Bundesland nach vorn brachte. Mit 43 wurde er Bundesvorsitzender der CDU - und nach langem Kampf mit Parteifreunden und -feinden, mit 52 Bundeskanzler. Er hat viel einstecken müssen, vor allem am Beginn seiner Karriere.

Sein CSU-Widersacher Franz Josef Strauß (1915-1988) höhnte in München vor dem Vorstand der Jungen Union über den vermeintlichen Männerfreund: "Herr Kohl, den ich trotz meines Wissens um seine Unzulänglichkeit um des Friedens willen als Kanzlerkandidaten unterstützt habe, wird nie Kanzler werden. Er ist total unfähig. Ihm fehlen die charakterlichen, die geistigen und die politischen Voraussetzungen. Ihm fehlt alles dafür." Ein Teilnehmer ließ ein Band mitlaufen und steckte es dem "Spiegel" zu.

Das Satiremagazin "Titanic" karikierte den Kohl-Kopf und machte ihn zur deutschlandweit belachten Birne. Der Parodist Stephan Wald spottete über seine Fremdsprachenkenntnisse und Pfälzer Aussprache, und wenn sich Kohl mal wieder vom "Mantel der Geschichte" gestreift fühlte, wusste man nicht mehr, ob dies nun das Original oder doch nur die Parodie ist.

Kabarettist Dieter Hildebrandt (1927-2013) persiflierte mit einem Kabinettstück Kohls aufgeplustertes Deutsch auf der Grundlage des Gedichts "Abendlied" von Matthias Claudius: "Der Mond, meine Damen und Herren, liebe Freunde, und das möchte ich hier in aller Offenheit sagen, ist aufgegangen. Und niemand von Ihnen, meine Damen und Herren, liebe Freunde, wird mich daran hindern, mit aller Entschlossenheit festzustellen: Die goldnen Sternlein prangen. Und wenn Sie, meine Damen und Herren, liebe Freunde, mich fragen, wo? Dann sage ich Ihnen in aller Ehrlichkeit: am Himmel! Und das, meine Damen und Herren, sei in aller Eindeutigkeit festgestellt, so wie sich meine Freunde und ich immer zu allen Problemen geäußert haben: hell und klar..."

Kohl hat diese beißende, teilweise auch verletzende Interpretation seiner Person, so schreibt der Publizist Thomas Schmid in der "Welt", von Anfang an "ungeheuer geärgert. Es traf ihn schwer, dass er als 'Birne', als Trottel verspottet wurde". Dennoch sei er unbeirrt "seinen Erfolgsweg" gegangen. Schmid glaubt, dass ihn "tief sitzende Wut und unerschütterlicher Elan" vorangetrieben haben. Immer weiter, immer höher.

 

Der "bedeutendste europäische Staatsmann"

 

Er regierte 16 Jahre lang das Land, fast zwei Jahre länger als Konrad Adenauer. Er gilt als "Kanzler der deutschen Einheit", der entschlossen nach dem Fall der Mauer handelte. Und er war maßgeblich an der Einführung des Euros beteiligt, eine Rolle, die heute kritischer gesehen wird als vor 20 Jahren. Bei der Verleihung des Henry-Kissinger-Preises an den Altkanzler sagte der frühere US-Präsident Bill Clinton (68) 2011 als Laudator, Kohl sei "der bedeutendste europäische Staatsmann seit dem Zweiten Weltkrieg".

Natürlich gab es Widerstände gegen ihn, vor allem von Parteifreunden. Er hat sie platt gewalzt. 1989 die "Bremer Stadtmusikanten", wie er die Parteirebellen nannte, die auf dem Parteitag in Bremen einen Putsch gegen den Chef gewagt und verloren hatten. Mit ihnen war Kohl ein für alle Mal fertig. Über seinen früheren Intimus Heiner Geißler (85) soll er gesagt haben: "Der Mann macht mich krank, ich kann ihn nicht mehr ertragen." Die Grande Dame der CDU, Rita Süssmuth (78), ist für ihn "eine Schreckschraube", Norbert Blüm (79), auch ein enger Weggefährte von früher, "ein Verräter". Nach der Wahlniederlage gegen Gerhard Schröder (70, SPD) 1998 und dem CDU Spendenskandal, bei dem Kohl sich - unter Berufung auf sein Ehrenwort - weigerte, die Geldgeber für die schwarzen Kassen der Partei zu nennen, ging die CDU auf Distanz zum "schwarzen Riesen".

 

Er teilt aus

 

Der CDU-Patriarch teilte kräftig aus. Laut der Protokolle von Heribert Schwans vierter Kohl-Biografie nannte er den Parteifreund Friedrich Merz (59) ein "politisches Kleinkind", der ehemalige sächsische Ministerpräsident und Altbundespräsident Christian Wulff (55) war für ihn "ein großer Verräter". Und über sein eigentliches politisches Ziehkind Bundeskanzlerin Angela Merkel (60) soll er gesagt haben: "Frau Merkel konnte ja nicht richtig mit Messer und Gabel essen. Sie lungerte bei den Staatsessen herum, sodass ich sie mehrfach zur Ordnung rufen musste."

Mit Wolfgang Schäuble (72), seinem wichtigsten Mann bei der Wiedervereinigung, ist er in herzlicher Feindschaft vereint. Schäuble, der als enger Freund und Kronprinz Kohls galt, soll laut "Zeit" selbst die Verbindung im Januar 2000 mit den Worten gekappt haben: "Ich habe wohl schon zu viel meiner knapp bemessenen Lebenszeit mit dir verbracht." Zwölf Jahre später bekräftigte der Finanzminister: "Meine Beziehung zu Helmut Kohl ist beendet."

 

Zerwürfnis mit den Söhnen

 

Der härteste Schicksalsschlag ereilte Kohl am 5. Juli 2001. An diesem Tag nahm sich seine damals 68-jährige Frau Hannelore das Leben, angeblich hatte sie unter einer Lichtallergie gelitten. In der Folgezeit zerfiel die Familie. In einem "Stern"-Interview sagte der Altkanzler, er wolle seine Söhne Walter (51) und Peter (49) nicht mehr sehen: "Das Verhältnis ist nicht gut." Dieses Zerwürfnis hat auch mit Kohls zweiter Ehe zu tun. 2008 hatte er die Volkswirtin Dr. Maike Richter (Jahrgang 1964) geheiratet, die von 1994 und 1998 unter seiner Leitung im Bundeskanzleramt gearbeitet hatte. Beide Söhne wurden nicht zur Hochzeit eingeladen.

Walter und Peter Kohl werfen der neuen Ehefrau vor, den Zugang zum Vater zu kontrollieren, ihn abzuschirmen von ihren Familien, ihren Frauen und Kindern, Kohls Enkelkindern. Ein Eindruck, den auch einige Medien und ehemalige Weggefährten Kohls teilen. Die "Süddeutsche Zeitung" hatte den Eindruck, Maike Kohl-Richter sei deutlich darauf fixiert, um Kohl "eine Mauer zu bauen". Dagegen sprechen der Altkanzler und seine Frau im "Stern" von "einer schönen Ehe", die ein Ausdruck von "Liebe und tiefer Verbundenheit" sei. Dass Maike Kohl-Richter bei einem gemeinsamen Auftritt mal einen Hosenanzug und Schmuck der toten Hannelore getragen hat, hält sie mittlerweile für einen großen Fehler, "aber es war nicht meine Idee, es war die Idee meines Mannes".

 

"Ein Segen"

 

Bundeskanzlerin Angela Merkel, einst "Kohls Mädchen", hat offenbar ihren Frieden mit dem Senior von Oggersheim gemacht. Sie, die 1999 in einem FAZ-Artikel schrieb, die Partei müsse auch ohne Kohl "laufen lernen" und damit den Bruch mit dem schwer gekränkten Altkanzler vollzogen hatte, zeigt nun ungewöhnlich viel Herz und sagt, via "Bild", in ihrem Geburtstagsgruß: "Dieser Kanzler des Vertrauens war für uns Deutsche ein Segen." Wenn Helmut Kohl dies nicht wie Öl runtergeht, ist er wirklich nicht mehr der Alte.

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