Hartz-IV-Reform kostet bis zu zehn Milliarden Euro
Ein Urteil mit großen Folgen: Es bremst die Steuerpläne aus und entfacht die Debatte um Mindestlöhne neu
Und was jetzt? Das Urteil wird weitreichende Folgen haben – nicht nur für Hartz-IV-Empfänger. Die Kosten für die Erhöhung gefährdet andere Projekte. Und: Jetzt geht die Debatte über Mindestlöhne wieder los. Denn damit sind es noch mehr Branchen, in denen sich die Löhne in den unteren Tarifgruppen kaum von dem unterscheiden, was ein Familienvater mit Hartz IV bekommt.
Wie reagiert die Politik?
Sozialverbände, Gewerkschaften und die Linke bejubelten das Urteil als Ohrfeige für Hartz IV – einige stellten das ganze Regelwerk in Frage. So weit will Schwarz-Gelb nicht gehen: Die Regierung wird „schnellst möglich“ Struktur und Höhe der Kinder-Sätze neu regeln, so Familienministerin Kristina Köhler. Arbeitsministerin Ursula von der Leyen wollte sich auf Kosten und Inhalte nicht festlegen: „Es freut mich, dass das Kind in seiner Gesamtheit wahrgenommen wird.“ CSU-Chef Horst Seehofer stellt die Grundsatz-Frage deutlicher: „Es wurde Zeit, dass Hartz IV zusammenbricht. Das ganze System braucht eine Generalüberholung.“ Bundeskanzlerin Angela Merkel begrüßte, dass „Klarheit“ geschaffen wurde.
Was kostet das?
Mit einigen Milliarden wird zu rechnen sein – auch wenn Unionsvertreter eilig erklärten, Karlsruhe habe nur eine andere Berechnung und keine höheren Sätze gefordert. Fraktionschef Volker Kauder hält gar eine Reduzierung für möglich. Michael Meister (CDU) regte an, man könne ja in ländlichen Regionen weniger zahlen. Ein Sprecher des Finanzministeriums zu höheren Kosten: „Kann sein, muss nicht sein.“ Doch Experten verweisen auf das Urteil, das ausdrücklich feststellt, dass bei Kindern das Existenzminimum nicht gewahrt sei und sie Extra-Geld für Schule und Bildung brauchen. Und: Auch Erwachsene können künftig einfacher Einzelleistungen bekommen, beispielsweise bei Krankheit. Das alles kostet auf jeden Fall. Grünen-Fraktionschefin Renate Künast rechnet mit zehn Milliarden Euro. Schon kommen erste Vorschläge, wo das Geld herkommen soll: Die GEW Bayern fordert eine höhere Erbschafts- sowie die Wiedereinführung der Vermögenssteuer.
Was macht das mit den Steuerplänen?
Die CSU macht deutlich, dass die FDP-Pläne damit in weite Ferne rücken: „Dieses Urteil schränkt die Spielräume für alles andere ein“, so Landesgruppenchef Hans-Peter Friedrich. Die SPD sagte, damit seien die „absurden FDP-Pläne obsolet“. Die FDP sieht das anders: Der Finanzbedarf für das Urteil sei „überschaubarer als befürchtet“, so Fraktionschefin Birgit Homburger.
Und was passiert mit dem Mindestlohn?
Den brachte sofort die SPD auf die Agenda: „Es kann nicht sein, dass jemand ohne Arbeit mehr Geld bekommt als jemand, der den ganzen Tag einer Arbeit nachgeht“, so Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann. Nun müsse wieder über Mindestlöhne geredet werden. Der Niedriglohnsektor ist in Deutschland extrem gewachsen: Fast jeder Fünfte arbeitet dort. Die Zahl der Aufstocker, die zusätzlich zum Lohn Hartz IV beziehen, liegt mit 1,4 Millionen Menschen auf Rekordniveau. Sie wird zwangsläufig steigen, wenn das Hartz-IV-Niveau (zumindest bei Familien) steigt, weil dann noch mehr Menschen Anspruch darauf haben. Das stört die Gewerkschaften. IG-Metall-Vorstand Hans-Jürgen Urban: „Das ist die Subventionierung von Niedriglöhnen durch den Steuerzahler.“ Anja Timmermann