Hamas-Angriff auf Festival in Israel: "20 meiner Freunde sind tot"

Eine Ausstellung in Tel Aviv erinnert an den Überfall der Hamas auf das Nova-Musik-Festival – und an die Opfer. Die AZ war in Israel und hat mit einer Überlebenden gesprochen.
von  Anne Wildermann
Auf einem Monitor sind die Gesichter der Menschen zu sehen, die von den Hamas-Terroristen ermordet wurden.
Auf einem Monitor sind die Gesichter der Menschen zu sehen, die von den Hamas-Terroristen ermordet wurden. © Anne Wildermann

Tel Aviv - Elektronische Musik wummert durch die Boxen, weiße Spotlights tasten die dunkle Halle ab. Fallen zärtlich auf Schlafsäcke, Zelte, Isomatten und Sitzkissen, die auf dem Boden liegen. Dazwischen: Bäume und vertrocknetes Laub.

Die exponierten Gegenstände wirken, als ob sie Teil einer Messe für Outdoor-Liebhaber sind. Doch so profan ist es nicht. Die Camping-Ausrüstung gehörte einst Menschen, die am Abend des 6. Oktobers das Nova-Festival auf dem Gelände in der Nähe des Kibbuz Re'im in Südisrael, etwa fünf Kilometer vom Gaza-Streifen entfernt, besuchten.

Es war eine Party, die im Zeichen von Freundschaft, Liebe und Freiheit stattfand. Stattdessen fluteten Hass und Gewalt gegen 6.30 Uhr des 7. Oktobers das Areal. Hamas-Terroristen stürmten das Festival, ermordeten mehr als 360 Besucher und nahmen Geiseln. Insgesamt waren 14 Nationen zum Feiern zusammengekommen.

Überlebende aus Israel: Ehrenamtliche Arbeit wie eine Therapie

Mehr als zwei Monate sind seit der grauenhaften Attacke vergangen. Tal steht zwischen den Exponaten, führt Besucher ehrenamtlich durch die Ausstellung mit dem Titel "Wir werden wieder tanzen", die im Messe- und Kongresscenter im Norden Tel Avivs zu sehen ist. Die kleine, zierliche 25-Jährige ist eine der Überlebenden und gehörte zum siebenköpfigen Organisations-Team des Festivals. Sie sagt, für sie sei diese Arbeit wie Therapie. Sie habe kein Problem damit, über das, was geschehen ist, zu sprechen.

Im Gegenteil, sie muss. Vielleicht legen sich dadurch sogar ihre großen Schlafprobleme, unter denen sie nach wir vor leidet. "All diese Gegenstände, die hier zu sehen sind, waren auf dem Festivalgelände", sagt die junge Frau und zeigt unter anderem auf gelbe Dixi-Toiletten, eine Bar mit Zapfanlage und kleine Stände, an denen Besucher Kleidung und Taschen aus Indien kaufen konnten.

Die Toiletten haben Einschusslöcher, nur drei Besucher, zwei Frauen und ein Mann, die sich dort versteckt hatten, haben überlebt. In den Kühltruhen, in denen Getränke gelagert wurden, hat nur eine Person überlebt. "Sie hatte einfach Glück. Die Terroristen haben die Truhe nicht geöffnet." Nach ihrer Schicht auf dem Festival wollte Tal ihrem Freund bei seinem DJ-Auftritt zusehen.

In ihrer Erinnerung war es ein magischer Moment: Die Sonne ging auf, um sie herum Fremde, die mit fröhlichen und zufriedenen Gesichtern tanzten. Sie alle teilten dieselbe Leidenschaft: Musik. Doch dann brach die Hölle aus. "Hunderte von Raketen sind über unsere Köpfe geflogen. Hunderte."

 

Die Musik stoppte, jeder versuchte, sich in Sicherheit zu bringen. Tal und ihr Freund retteten sich unter Bäume, trafen dort Freunde, versuchten, sich gegenseitig zu beruhigen, um mit klarem Kopf die nächsten Schritte zu entscheiden. Statt nach Hause in den Norden zu fahren, fuhren sie mit einem Auto zu einem angemieteten Haus, wo die namhaften Musikgäste vor ihrem Auftritt untergebracht wurden. Ob sie dort sicher wären, war unklar. Denn das Haus liegt in der Gefahrenzone, unweit vom Gaza-Streifen.

Im Nachhinein stellte sich diese Entscheidung als lebensrettend heraus. "Eine Freundin von mir, die auch im Norden wohnt und nach Hause fahren wollte, wurde von den Terroristen gestoppt und ermordet."

Hamas-Terror auf dem Festival: Zwölf Stunden harrt die Gruppe aus

Im Unterschlupf standen die Handys der jungen Leute nicht mehr still. Nachrichten über Nachrichten gingen ein. Sie begriffen, dass die Lage viel schlimmer war als angenommen. Kurzerhand versuchten sie aus der Ferne, Leute zu retten, sie zu sich zum Haus zu navigieren. Sie bewaffneten sich mit Messern, wollten vorbereitet sein, falls die Terroristen zu ihnen kommen und sie angreifen sollten.

 

Um neun Uhr ging auf Tals Handy ein Video-Anruf ihrer besten Freundin ein. Sie rannte um ihr Leben, versuchte, einem Terroristen, der hinter ihr lief, zu entkommen. Plötzlich blieb sie stehen. Es waren nur noch ihre nackten Beine, die Schuhe und der staubige Boden zu sehen. "Das war das Letzte, was ich von ihr für die nächsten zwei Stunden gesehen habe", erinnert sich Tal. Sie war davon überzeugt, dass ihre Freundin tot ist. Doch sie überlebte, harrte stundenlang verwundet in einem Busch aus.

Die 25-jährige Tal hat das Festival mitorganisiert - und überlebt.
Die 25-jährige Tal hat das Festival mitorganisiert - und überlebt. © Anne Wildermann

Fast zwölf Stunden später beschloss die Gruppe, das Haus zu verlassen, aus der Gefahrenzone heraus zu fahren. Im Auto, entlang der Landstraße, sahen sie vollständig ausgebrannte Wagen. "Ich habe mich dazu gezwungen, nicht genau hineinzusehen, weil ich Angst davor hatte, Dinge zu sehen, die ich nicht sehen wollte." Einige dieser Autowracks sind jetzt Teil der Nova-Ausstellung.

Auch die Helfer brauchen Hilfe

Erst als die Gruppe Tel Aviv erreicht, atmet Tal auf, fühlt sich endlich sicher. Die Hilfe und Unterstützung ist für Tal und ihre Kollegin noch lange nicht zu Ende. Die Festival-Organisatoren kümmern sich nach wie vor um die schwersttraumatisierten Besucher, sorgen dafür, dass sie psychologische Hilfe bekommen.

Dabei benötigen die Helfer selbst Hilfe. Auch Tal, das weiß sie: "Vor allem die Wochen nach dem Massaker waren für mich schlimm. Erst dann habe ich begriffen, wie viele meiner Freunde tot sind, entführt wurden. Es sind 20." Von deren Tod habe sie teilweise erst Wochen später erfahren. "Es hat lange gedauert, bis ihre Leichen, die zwischen Israel und dem Gaza-Streifen lagen, vom Militär geborgen werden konnten. Wer verwundet war und auf dem Weg zu Gaza gestorben ist, wurde von den Terroristen wie Müll vom Fahrzeug geworfen."

Campingstühle, Zelte, Tücher und Decken: Was zunächst an eine Outdoor-Messe erinnert, sind die Habseligkeiten der getöteten Festival-Besucher.
Campingstühle, Zelte, Tücher und Decken: Was zunächst an eine Outdoor-Messe erinnert, sind die Habseligkeiten der getöteten Festival-Besucher. © Anne Wildermann

Die Überlebende Tal kann nicht auf alle Beerdigungen gehen

In den vergangenen Tagen musste Tal entscheiden, auf welche Beerdigung sie geht. Teilweise waren es drei am Tag, überschnitten sich zeitlich. Sie konnte nicht alle besuchen und mit den Angehörigen trauern.

Auf Tischen sind Schuhe, Rucksäcke, Kleidung, Mützen, Sonnenbrillen und Hygiene-Artikel der Festival-Besucher akkurat platziert. Alles wirkt, als würden sie gleich von ihren Besitzern abgeholt. Als Tal das erste Mal vor den Tischen stand, musste sie weinen.

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