Habeck auf dem Vormarsch: Die rot-grüne Entfremdung

Niemanden fürchtet die SPD-Spitze derzeit mehr als den smarten Robert Habeck. Die Grünen drohen, die Roten zu überholen. Das könnte deren Niedergang beschleunigen. Die Nervosität wächst.
von  ir, ted
Grünen-Chef Robert Habeck (l.) und Vizekanzler Olaf Scholz (SPD). Aus "natürlichen Partnern" sind scharfe Konkurrenten geworden.
Grünen-Chef Robert Habeck (l.) und Vizekanzler Olaf Scholz (SPD). Aus "natürlichen Partnern" sind scharfe Konkurrenten geworden. © dpa

Berlin - Robert Habeck ist ein erfrischend-lockerer Typ, der gern in Talkshows geladen wird. Doch für Andrea Nahles ist er hochgefährlich. Schleichend, aber hartnäckig wildern die Grünen mit ihren neuen Vorsitzenden Habeck und Annalena Baerbock im Terrain der SPD-Vorsitzenden. Laut ARD-"Deutschlandtrend" liegen sie mit 15 Prozent nur noch drei Punkte hinter den Sozialdemokraten.

In Bayern könnten sie im Herbst bei der Landtagswahl hinter der CSU sogar klar zweitstärkste Kraft werden – der SPD droht hinter der AfD Platz vier. Habeck ist zufrieden mit den bayerischen Spitzenkandidaten seiner Partei, Katharina Schulze und Ludwig Hartmann: Aus seiner Sicht verkörperten sie "Solidität, aber auch politische Leidenschaft und Jugendlichkeit", lobt er.

SPD und Grüne, die mal als natürliche Partner galten, müssen in einer sich rasant verändernden politischen Landschaft ihren Platz finden. Wie in anderen Ländern zersplittert das Parteiensystem.

Erst kamen im linken Lager die Grünen 1980 dazu, und 2007 die Linke. Abzuwarten bleibt, ob die Linke-Politikerin Sahra Wagenknecht mit ihrer neuen Sammlungsbewegung "Aufstehen" das Parteiengefüge links weiter zerbröseln lässt. Sie könnte gerade die SPD weitere Wähler kosten, wo Parteichefin Andrea Nahles und Vizekanzler Olaf Scholz auf einen Mitte-Kurs setzen, während sich viele Mitglieder und Anhänger der SPD nach der "reinen linken Lehre" sehnen – dazu gehört für sie auch ein Abschied von Hartz IV. Doch was für die SPD-Spitze völlig klar ist: Der größte und gefährlichste Konkurrent sind die Grünen.

Nahles registriert die Kampfansage der Grünen

Die Grünen wollen enttäuschte Wähler der liberalen Mitte einsammeln, auch die, die nicht mehr wissen, wofür die zerrissene SPD noch steht. Und auch bei der nach rechts rückenden Union wildern, das konservative Lager wird auch von einem Umbruch erfasst. Die immer noch recht junge AfD liegt im "Deutschlandtrend" bei 17 Prozent, die Union ist auf 29 Prozent abgesackt. Und die Grünen stellen sich geschickt auf die neue Zeit ein, setzen Themen, während die SPD auf Sinnsuche ist.

Einerseits umarmen Habeck und Baerbock die Linken. Sie sprechen von Umverteilung, von Gerechtigkeit. Andererseits reisen sie unter dem Motto "Des Glückes Unterpfand" auf der Suche nach Einigkeit, Recht und Freiheit durchs Land, um den Begriff Heimat als "Anti-AfD" positiv zu besetzen.

Wenn Habeck an historische Orte fährt, zum Hermannsdenkmal, auf die Wartburg, zur Paulskirche und zum Hambacher Schloss, sendet er damit auch eine eindeutige Botschaft an die Liberalen im konservativen Lager: Wenn euch die sprachliche und thematische Annäherung eurer Leute an die rechtspopulistische AfD nervt, kommt zu uns. Nicht zur SPD. Nahles registriert diese Kampfansage genau.

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In seinem Blog berichtet Habeck über die Reise. Er streift dabei auch das Leib- und Magenthema Klimawandel, das gerade deutlich ins Bewusstsein der Bürger rückt. "Auf der Fahrt nach Rheinland-Pfalz fahre ich durch glühende Landschaften. Die Felder Brandenburgs sind ausgetrocknet, der Weizen, der Mais nur halb so hoch wie sonst. Zu Hause in Schleswig-Holstein werden die Kühe vorzeitig geschlachtet, weil das Futter nicht mehr reicht."

Dann kommt er beim Hambacher Schloss an, Symbol der Revolution 1848, das die AfD für sich in Beschlag nimmt. "Die Hambacher wehren sich", schreibt Habeck. "Oben auf dem Turm weht neben der Deutschlandflagge die Europafahne." Die Grünen setzen Botschaften gegen einen Rechtsruck, verbreiten Aufbruchstimmung – während Nahles’ Sommerreise keine Überschrift hat. Es ist ein Sammelsurium aus Besuchen bei SPD-Kommunalpolitikern, in einer Brauerei, bei Siemens, in einem Mühlenmuseum und bei einem Mehrgenerationenhaus.

Flüchtlingspolitik: Grüne bauen auf Humanität

In der Flüchtlingspolitik stehen die Grünen für einen humanitären Helferansatz. Im Gegensatz zu Union und SPD ist die Linie hier klar – wie auf der anderen Seite des Spektrums die der AfD. Nahles sagt, sie wolle Kommunen nicht überfordern, aber geflüchteten Menschen auch helfen. Im Ruhrgebiet und in Ostdeutschland fordern Genossen aber einen schärferen Asylkurs, da die Gesellschaft sich immer stärker spalte. Was will "die SPD"? Unklar. Nahles wirkt ratlos: "Die Imitation der Grünen hilft uns nicht weiter". Sie will mehr Abgrenzung - aber wie?

"Wer Abgrenzung nur taktisch einfordert, wird schlicht nicht verstanden", kritisiert ein einflussreicher SPD-Abgeordneter. Klar, mit den Grünen gibt es weiter die größten Gemeinsamkeiten, gerade in der Europa-, Steuer- und Sozialpolitik. Doch die Grünen fassen verstärkt Koalitionen mit der Union als Option ins Auge.

"Aufgrund der Rechtsverschiebung der vergangenen Jahre gibt es derzeit objektiv keine Mehrheit links der Mitte", sagt Jürgen Trittin, ein linker Grüner und ehemaliger rot-grüner Umweltminister. Linke Mehrheiten gebe es nur in vielen politischen Einzelfragen. "Das bringt sowohl die SPD als auch die Grünen in die Situation, dass sie faktisch nur lagerübergreifend Regierungsoptionen haben." Man bräuchte auch gemeinsam einen dritten Partner. Nahles und Scholz trauen der Linkspartei, gerade Wagenknecht und ihrem Mann Oskar Lafontaine, nicht über den Weg – ihre einzige Machtoption könnte eine Ampel-Koalition mit Grünen und FDP sein. Oder eben die "GroKo".

Seit Jahren versucht die SPD-Spitze es mit einem moderaten Kurs – und sackt weiter ab, den kurzfristigen Höhenflug mit Martin Schulz gab es ausgerechnet, als er auf einen Linkskurs setzte und Hartz-Korrekturen ankündigte – doch dann wurde er eingenordet. "Nahles und Scholz scheinen sich in einer babylonischen Gefangenschaft mit CDU und CSU einrichten zu wollen", sagt Trittin. Nahles grenze sich von den Grünen schärfer ab als von der CSU.

Neu ist, dass die Grünen nicht nur links, sondern auch verstärkt in der Mitte der SPD Wähler abspenstig machen. So könnten Gerhard Schröders Erben dessen Machtdefinition nochmal in umgekehrter Weise aufs Brot geschmiert werden. Er hatte an die Adresse der Grünen zu Beginn von Rot-Grün im Bund gesagt: "Der Größere ist der Koch, der Kleinere der Kellner." Die SPD holte 1998 40,9 Prozent, die Grünen 6,7 Prozent. Nun könnten die Kellner ihre Köche bald überholen.

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