Guido Westerwelle: Krawall für sieben Prozent
Der Außenminister verteidigt seine Aussagenzur Hartz-IV-Debatte und strotzt – ungeachtetder Umfragewerte – vor Selbstbewusstsein: „Das Volk hat ein Recht auf die Wahrheit“.
Ich bin überwältigt“, sagt Franz Prockl, und man merkt es dem jungen Stadtrat, der da am Rednerpult die ersten Worte sagen darf, sichtlich an. „Ein Großereignis! Bei uns hier in Straubing! Der Vizekanzler der Bundesrepublik Deutschland! Der Parteivorsitzende der FDP! Doktor Guido Westerwelle!“ Es klingt wie eine Steigerung. Klar ist: Zum Aschermittwoch der FDP sind die glühenden Verehrer von Westerwelle gepilgert. Und er liefert. Er, der tapfere, angefeindete, einsame Verkünder tiefster Wahrheiten, angereichert mit wohldosiertem Krawall.
1000 Zuhörer sind gekommen, einige müssen stehen, andere sind zum ersten Mal bei einem Aschermittwoch. Sie wollen ihn live sehen, ihren Messias, den Mann, „der als Einziger eben auch mal heikle Dinge auszusprechen wagt“, schwärmt Sylvia Hölzl aus Riedenburg. Und die Umfragen, die die FDP bei nur noch sieben Prozent sehen? „Das ist eben der Preis für seinen Mut!“
Dann zieht er ein, zum bayerischen Defiliermarsch. Die Abteilung Attacke auf die CSU überlässt er seinen Vorrednern. „Straubing war früher so schwarz, dass man noch tagsüber mit Licht gefahren ist“, sagt Generalsekretärin Miriam Gruß und meint, die CSU sollt' sich halt überlegen, in Berlin doch lieber in die Opposition zu gehen. Vizeministerpräsident Martin Zeil sagt, Gesundheitsminister Markus Söder sei neulich auf dem Rossmarkt gewesen – „Den Vierbeinern haben seine gesundheitspolitischen Vorstellungen gut gefallen.“
Westerwelle selbst steht weit von diesem koalitionspolitischen Klein-Klein. „Schön, dass Sie so zahlreich gekommen sind – das zeigt, dass Politik eben nicht in den Kommentarspalten gemacht wird. Mag mich auch der linke Zeitgeist kritisieren: Leistung muss sich wieder lohnen!“ Der Saal johlt. Mit Tieren werde er verglichen, als rechtsradikal beschimpft, mit „Unflätigkeiten“ überhäuft. „Man muss linksextrem in der Birne sein, wenn Leistung als rechtsradikal gilt!“ Er sei nur als Außenminister der Diplomatie verpflichtet. „Aber im Inland bin ich ein Mitglied im Verein der klaren Aussprache. Ich bin nicht Frank-Walter Steinmeier mit einer gelben Krawatte.“
Sein großes Thema ist der Sozialstaat. „Wer ihn überfordert, wird ihn zerstören.“ 45 Prozent des Etats gingen dafür drauf, „zusammen mit den Zinsen für frühere Überforderungen 60 Prozent. Das passt nicht mehr, das spüren wir.“
Da schlägt er im Vergleich zu den vergangenen Tagen auch ein wenig sanftere Töne an. Er stamme ja auch nicht aus einer „Familie der goldenen Löffel“, sei sogar auf der Realschule gewesen. Den Bedürftigen dürfe man nichts wegnehmen, die wirklich Schwachen müsse man schützen. Aber dann gebe es eben noch die „Findigen“, „die, die leisten könnten, es aber nicht tun, sondern es vorziehen, auf Kosten der Allgemeinheit zu leben.“ Immer wieder geht Westerwelle auf die „Findigen“ los, stellt die arme arbeitende Mittelschicht dagegen, die jeden Morgen aufsteht, sich anstrengt, „die Gekniffenen“, „die Damen, die hier im Saal servieren und 109 Euro weniger haben als mit Hartz IV“, ruft er. „Mehr Lohn“, ruft es zurück, aber es bleibt der einzige Hauch von Kritik.
Keine Pose ist ihm zu groß: „Ich spreche nur aus, was in Wahrheit alle Politiker wissen. Aber sie trauen sich nicht, sie auszusprechen. Aber das Volk hat ein Recht auf die Wahrheit.“ Das Sendungsbewusstsein ist ungebrochen: Er könne eben nicht im Alleingang alles reparieren, was in elf Jahren schiefgelaufen sei. Und noch solche elf Jahre (lies: ohne ihn als Vizekanzler) könne sich Deutschland nicht leisten, sonst „werden wir im Wettbewerb der Welt Platz für Platz nach hinten durchgereicht“.
Beim letzten Aschermittwoch war er noch Oppositionsführer. Auch diesmal liefert er seine Knaller-Pointen (er wolle den Lenin-Orden der Linkspartei), bedient brav die bayuwarische Zuhörerschaft („Bei der Debatte setzt du dich ja nieder. War das jetzt landsmannschaftlich korrekt?“). Aber er sucht seine Rolle auch noch spürbar. Er wiederholt und verschärft seine Sozialstaats-Thesen; aber er wirkt seltsam müde dabei, lächelt nur ein einziges Mal. Präsentiert sich als Verkünder und geprügelter Mahner, aber dann wechselt er wieder zum nachdenklichen Außenminister, der auf seinen mannigfaltigen Reisen erfahren habe, wie wichtig Bildung ist. Er schließt mit großem Ernst und leichtem Tremolo, gewandt an die Zuhörer: „Ihre Freiheit ist Ihre Verantwortung. In Ihnen steckt der Mut für die Zukunft. Ich danke Ihnen.“
Und was finden seine Zuhörer? Max Weigl, Juli (der Jugendverband der FDP) aus Straubing: „Das ist doch eine superwichtige Debatte, die er angestoßen hat. Manchmal muss man sich eben im Ton vergreifen, um Gehör zu finden. Der ist lang genug dabei, um zu wissen, was er tut.“ Ein wenig nüchterner sieht es Jochen Polster (51) aus Dingolfing: „Er vertritt klare Positionen – anders als die Massenparteien. Und die Debatte, wohin unser Sozialstaat gehen soll, die ist mir ehrlich gesagt viel lieber als die vorher über die Hotel-Steuer und Klientelpolitik.“
Anja Timmermann