Guido Westerwelle: Der größte Draufhauer

Bitter für CSU-Chef Horst Seehofer: Guido Westerwelle stiehlt ihm ausgerechnet vor dem Aschermittwoch im Bolzen die Show. Aufrichten wollte er die Christsozialen - der FDP-Chef hat alles versaut.
BERLIN/MÜNCHEN/PASSAU Da hat sich CSU-Chef Horst Seehofer gewaltig verrechnet: Eine Kuschel-Stunde hatte er geplant, eine Seelenmassage für seine gebeutelte Partei nach dem Wahldesaster und der unendlichen Affäre um die BayernLB. Aufrichten wollte er die Christsozialen an diesem 58.Politischen Aschermittwoch in Passau. Den Gegner verschonen. Den Koalitionsfrieden mit dem Regierungspartner FDP wahren. Stattdessen das Großkapital als neuen Feind angreifen und soziale Gerechtigkeit fordern. Und jetzt? Jetzt hat Guido Westerwelle, Vizekanzler, Außenminister, FDP-Chef, alles versaut.
Nun muss der große Schwarze am Aschermittwoch doch zum Duell antreten gegen den wortgewaltigen Liberalen. Denn Westerwelle stiehlt dem krachledernen Exorzismus der CSU seit Tagen die Show: Dabei wollten die Christsozialen auf ihrem Mir-san-mir-Spektakel morgen doch allen beweisen, dass sie die Lufthoheit über dem größten Stammtisch der Republik hat. Doch jetzt ist es Westerwelle, der draufhaut, wo und wie’s nur geht.
Das hat eine regelrechte Olympiade entfacht, wer mit den deftigsten Worten gegen Westerwelles Hartz-IV-Kanonade zurückbolzen kann. „Esel“ (Heiner Geißler, CDU). „Schreihals“ (Claudia Roth, Grüne), „Brandstifter“ (Sigmar Gabriel, SPD). Für Horst Seehofer, der sich so gerne als Robin Hood der kleinen Leute gibt, wird das ein ganz schwieriger Aschermittwoch werden.
Westerwelle kann es inzwischen völlig schnuppe sein, dass zum CSU-Hochamt wieder 4000 Besucher erwartet werden, die Liberalen in der Josef-von-Fraunhofer-Halle in Straubing, wo der Vizekanzler höchstpersönlich seine Ärmel hochkrempelt, aber nur mit 500 Zuschauer rechnen. Hauptsache, die ganze Republik ereifert sich schon jetzt an dem Zwist.
Den heizte Westerwelle gestern noch kräftig an. Er gibt nicht nach, will nun sogar eine „Generaldebatte zur sozialen Gerechtigkeit“ im Bundestag. Der sollten sich seine Kritiker stellen, statt mit ihren Beleidigungen zu verbergen, dass es ihnen an Argumenten fehle, zündelt er. Westerwelle: „Wir dürfen nicht zulassen, dass der, der arbeitet, der Dumme ist.“ Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel, die sich von seinen Äußerungen distanziert hatte, bekommt ihr Fett ab: „Jeder hat seinen eigenen Stil. Ich will gestalten, und deswegen will ich unserem Volk auch die Wahrheit sagen. Das Herumreden um den heißen Brei führt doch nur zu noch mehr Politikverdrossenheit.“
Sein Gefolge knöpft sich Bundeskanzlerin Angela Merkel vor. Merkel solle ihren Vizekanzler „vor unmöglichen Beschimpfungen aus der Union in Schutz nehmen“, so der hessische FDP-Chef Jörg-Uwe Hahn. CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach ätzt zurück: Westerwelle soll sich lieber hundertprozentig auf die Sacharbeit konzentrieren. Und wenn schon, dann bitte „ganz konkret sagen“, was nach seiner Überzeugung geändert werden solle.
Die Opposition überschlägt sich. „Politrowdy“, giftet Grünen-Fraktionschefin Renate Künast. Schleswig-Holsteins SPD-Chef Ralf Stegner twittert: „Westerwelle outet sich als Jörg Haider der deutschen Politik.“ „Westerwelle spaltet das Land“, schimpft Mecklenburg-Vorpommerns Sozialministern Manuela Schwesig (SPD). Saarlands SPD-Chef Heiko Maas tadelt: „Westerwelle zündelt am Sozialstaat.“
Geradezu sanft gibt sich dagegen CSU-General Alexander Dobrindt, der sich sonst gerne als Mann der klaren Worte bezeichnet. Solidarität sei einer der Grundpfeiler der sozialen Marktwirtschaft, erinnerte er den FDP-Chef: „Als Bundesminister muss man sich immer bewusst sein, dass man alle Deutschen vertritt und nicht nur bestimmte Gruppen.“ Das soll Parteichef Horst Seehofer am Aschermittwoch in Passau präsentieren. Dobrindt nennt das „CSU pur“. Dabei wissen die Christsozialen nach ihrem Verlust der absoluten Mehrheit und dem dritten Parteichef und Ministerpräsident innerhalb von drei Jahren selbst nicht mehr so recht, was das ist. Angela Böhm