Guido Westerwelle: Bewährungsfrist bis März

Die FDP-Spitze feiert, wie toll Guido Westerwelle das Ruder herumgerissen habe. Die Bürger sehen’s genau umgekehrt. Und die liberale Basis gibt ihm grollend noch eine Chance bis zu den Wahlen.
von  Abendzeitung
Pures Selbstbewusstsein: Guido Westerwelle. Jetzt gibt er sich „erleichtert“, dass seine Rede so gut angekommen sei
Pures Selbstbewusstsein: Guido Westerwelle. Jetzt gibt er sich „erleichtert“, dass seine Rede so gut angekommen sei © dpa

BERLIN - Die FDP-Spitze feiert, wie toll Guido Westerwelle das Ruder herumgerissen habe. Die Bürger sehen’s genau umgekehrt. Und die liberale Basis gibt ihm grollend noch eine Chance bis zu den Wahlen.

Am sarkastischsten war die „Financial Times Deutschland“. In der Anmutung des Neuen Deutschland zu DDR-Zeiten machte sie als Schlagzeile: „Einmütiger Zuspruch der Delegierten der Freien Demokratischen Partei Deutschlands für den Bundesvorsitzenden Dr. Guido Westerwelle“. Während die Parteispitze gestern lautstark bekundete, wie gestärkt Westerwelle nach seinem „fulminanten Auftritt“ sei, war aus den FDP-Landesverbänden durchaus Gemurre zu hören. Und die Bürger scheinen ihr Urteil längst gefällt zu haben.

Ausgerechnet gestern kam der neue ARD-Deutschlandtrend mit verheerenden Ergebnissen für die FDP. Während Forsa die Liberalen schon länger unter der Fünf-Prozent-Hürde sieht, hatten die ARD-Wahlforscher und Infratest lange etwas bessere Ergebnisse. Jetzt ist die FDP auch hier unter die Hürde gerutscht: So schlecht war sie im Deutschlandtrend noch nie in Westerwelles zehnjähriger Amtszeit. „Ein Aderlass für die FDP“, sagt ARD-Wahlexperte Jörg Schönenborn. Seit der Wahl ist die Partei von 6,3 auf 1,7 Millionen Wähler geschrumpft: 74 Prozent nennen als Grund, dass sie Wahlkampfversprechen nicht eingehalten hat, 72 Prozent ihre Klientelpolitik und 67 Prozent die Person Westerwelle. Außerdem gilt sie als unehrlichste Partei der Republik.

Die Erhebung war zwar am Dreikönigstag gerade schon abgeschlossen. Doch online lief auf tagesschau.de eine aktuelle Umfrage: Auf die Frage, ob Westerwelle mit seiner Rede das Ruder herumgerissen habe, antworten 89 Prozent mit einem klaren „Nein“. Ähnlich sieht es die europäische Presse: „Mehr als eine Frist bis zu den Wahlen im März hat er nicht erreicht“, schreibt „El Mundo“.

An der Parteispitze ist die Wahrnehmung eine völlig andere. Gesundheitsminister Philipp Rösler: „Seine Rhetorik, seine Leidenschaft hat die Zuschauer begeistert. Er ist der beste Wahlkämpfer, den die FDP je hatte.“ Wirtschaftsminister Rainer Brüderle: „Die Partei hat ihm an Dreikönig deutlich den Rücken gestärkt. Ich gehe davon aus, dass er nun beim Parteitag erneut antritt und im Amt bestätigt wird.“ Auf die Frage, warum Westerwelle so wenig die Probleme der Partei angesprochen habe, sagte Generalsekretär Christian Lindner, das habe er ja in seiner Rede getan; also habe es Westerwelle nicht tun müssen.

In der Tat hat die Basis die Selbstreflexion bei Westerwelle vermisst. „Ich hätte mich über einige selbstkritische Worte gefreut“, so Hessens Fraktionschef Florian Rentsch. Landeschef Jörg-Uwe Hahn: „Das kann nicht alles gewesen sein. Ein wesentlicher Teil hat gefehlt: eine Aussage, wie die Partei aus dem Tief herauskommen soll.“ Hans-Ulrich Rülke, Fraktionschef in Baden-Württemberg: „Es ist sicher nicht so, dass man sagen kann: alles ist gut.“ Viele Kritiker machten Westerwelles Zukunft davon abhängig, wie die nächsten Monate – und Wahlen – laufen.

Westerwelle selbst erklärte gestern auf einem Empfang, er sei erleichtert, wie gut seine Rede aufgenommen werde. Dann entfloh er dem internen Hexenkessel – auf Dienstreise nach Pakistan. tan

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