Grünen-Zugpferd Trittin: "Rot-Grün war auch kein Ponyhof"
MÜNCHEN - "Aus der Krise hilft nur Grün" heißt der Slogan der Ökopartei für die Bundestagswahl im September. Doch wie will die Partei in Anspruch einlösen? In welcher Koalition? Nach der Wahl könnten die Grünen mit diversen Bündnissen an die Macht kommen, doch keines gefällt ihnen so richtig. Spitzenkandidat Jürgen Trittin erklärt im AZ-Gespräch warum.
Keine Frage: Da läuft sich einer für den Wahlkampf warm. Erst kraxelte Grünen-Spitzenkandidat Jürgen Trittin am Donnerstag in München mit seinem Parteifreund Jerzy Montag und Bürgermeister Hep Monatzeder an einer Wand des Alpenvereins herum, am Abend suchte er in der vom Ex-Zivi hochgeschätzten Bundeswehrhochschule Neubiberg den „intellektuellen Streit“ über Außen- und Sicherheitspolitik. Dazwischen nahm sich der Ex-Umweltminister viel Zeit für einen Besuch in der AZ-Redaktion.
AZ: Herr Trittin, Sie trinken Ihren Kaffee gerne rabenschwarz. Eigentlich müssten Ihnen doch dann auch die schwarz-grünen Lockerungsübungen der CSU gefallen.
JÜRGEN TRITTIN: Ich fand es bemerkenswert, dass die Wahlverliererin CSU nach den bayerischen Landtagswahlen nicht mal der Form halber mit den Grünen geredet hat. Solange die CSU Speerspitze für diejenigen ist, die marode Alt-Kernkraftwerke unbegrenzt laufen lassen und notwendige ökologische Vereinfachungen wie das Umweltgesetzbuch verhindern, kann ich diese Lockerungsübungen nicht ernst nehmen.
Ein klares Nein zu Schwarz-Grün war das jetzt aber nicht.
Bei mir daheim in Göttingen haben wir im Kreistag im elften Jahr eine schwarz-grüne Koalition, die gerade eine dritte Gesamtschule beschlossen hat. Nur: Sie haben ja von der CSU gesprochen (lacht).
Aber Bayerns Umweltminister Markus Söder gibt sich doch als großer Gentechnik–Kritiker...
Ach, die reden viel, und wenn es aufs Handeln ankommt, sind sie wieder die Alten: Gerade hat die CSU im Bundestag den Antrag mit abgelehnt, Verkauf und Aussaat von genverändertem Mais endgültig zu stoppen.
"Eine arrogante Missachtung des Wählerwillens"
Aktuelle Umfragen sehen Union und FDP bei einer klaren Mehrheit. Da müssen sich die Grünen was einfallen lassen, wenn sie den Wahlkampf nicht gleich wegen Chancenlosigkeit einstellen wollen.
Das war in den letzten drei Wahljahren genauso, gereicht hat es nie. Wir werden uns mit der FDP einen munteren Wettkampf darüber liefern, wer dritte Kraft im Land wird. Es ist heute alles andere als sicher, dass es am Ende des Tages Schwarz-Gelb gibt. Da mögen sich einige Leute besoffen reden und jetzt schon Positionen und Posten in Berlin oder Brüssel verteilen. Das ist eine grobe, arrogante Missachtung des Wählerwillens.
Sollte es für Schwarz-Gelb nicht reichen: Hilft Grün dann aus?
Wir haben auf unserem Parteitag sehr deutlich gesagt, dass wir als Helfershelfer für Schwarz-Gelb nicht zur Verfügung stehen werden.
Was heißt Helfershelfer? Ihre Wahlparole ist doch: „Aus der Krise hilft nur Grün.“ Warum also nicht zusammen mit Union und FDP? Seien Sie doch selbstbewusst!
Die Grünen werden für jede Koalition bereit sein zu streiten, die sich ökologischer Modernisierung, sozialer Gerechtigkeit, Bürgerrechten und einer verlässlichen Außenpolitik verpflichtet weiß. Aber gerade bei diesen wichtigen Inhalten entfernen sich CDU und CSU immer mehr von den Positionen der Grünen. Deshalb halte ich eine Koalition mit Union und FDP für ein aussichtsloses Unterfangen.
Aber es gab einen Strategiewechsel bei Ihnen: Erst wollten Renate Künast und Sie mit einer klaren Aussage für die Ampel mit SPD und FDP in den Wahlkampf ziehen, jetzt plädieren sie für Grün pur...
Renate und ich sind beide dafür bekannt, dass wir für grüne Inhalte stehen und für nichts anderes. Wir sind aber auch bekannt dafür, dass wir grüne Inhalte in schwierigen Konstellationen umsetzen können. Ich warne vor einer Romantisierung der Vergangenheit: Rot-Grün war auch kein Ponyhof.
Was sagt der Ex-Umweltminister: Macht Ihr SPD-Nachfolger bei der Atomaufsicht in Sachen Vattenfall alles richtig?
Die Atomaufsicht hat sicher gestellt, dass Krümmel vorerst nicht wieder angefahren werden darf. Aber Gabriel fordert heute Dinge, gegen die er vor kurzem noch aktiv vorgegangen ist. Als die Grünen im Bundestag den Antrag gestellt haben, die sieben ältesten Akws abzuschalten, hat die SPD das niedergestimmt. Genauso bei der Brennstoffsteuer. Nur: Die Hauptauseinandersetzung führen wir nicht mit Gabriel, sondern mit Merkel, Westerwelle und Seehofer, die Laufzeitverlängerungen für technisch veralteten Anlagen wollen. Wer mit Extraprofiten von bis zu 200 Milliarden Euro für die Energiemonopolisten mit der Sicherheit der Bevölkerung spielt, handelt unverantwortlich.
"Wir müssen in Klima, Gerechtigkeit und Bildung investieren"
In zwei Wochen redet vielleicht niemand mehr von Krümmel, aber gewiss noch immer von der Krise. Schreckt Sie ein Wirtschaftswahlkampf?
Wir haben gerade unsere Kampagne vorgestellt, sie steht ganz im Zeichen unserer Wirtschaftspolitik. Gerade da werden wir Grünen die große Koalition munter vor uns hertreiben. Unsere These ist: Wir müssen in Klima, Gerechtigkeit und Bildung investieren. Nur so schaffen wir eine Millionen neue Jobs. Schauen Sie: China investiert allein 200 Milliarden in ökologischen Umbau und den Schienenverkehr. Und bei uns ist es verboten, auch nur einen Euro aus dem Konjunkturprogramm in S- oder U-Bahn zu stecken.
Sind Sie für ein drittes Konjunkturprogramm?
Was heißt drittes? Ich warte noch heute auf ein erstes Paket, mit dem der Staat wirklich gezielt und passgenau investiert. Beispiel Abwrackprämie: Jeder kriegt 2500 Euro dafür, dass er sich ein neues Auto auf dem technologischen Stand von vor zehn Jahren kauft. Ich wäre dafür, jedem 5000 Euro zu geben – unter der Bedingung, dass er sich ein Hybrid- oder Elektrofahrzeug kauft. Und: Wir dürfen nicht nur in die Wärmedämmung von Turnhallen investieren, sondern auch in die Zahl von Sportlehrern, die dort unterrichten.
Interview: Markus Jox, Frank Müller, Georg Thanscheidt